Plan lässt auf sich warten

BEHINDERTENRECHTE Bremen soll die UN-Behindertenrechtskonvention mit einem „Aktionsplan“ umsetzen. Der hätte längst erarbeitet werden müssen, klagen Verbände

„In den Ressorts ist unabhängig von der politischen Farbe noch nicht verstanden worden, dass es um Menschenrechte geht“

Horst Frehe, Grüne

von Jean-Philipp Baeck

Die Ansichten gehen auseinander: „An der Spitze“ sieht Björn Tschöpe, Fraktionsvorsitzender der SPD das Land Bremen in Sachen Behindertenrechte. „Wir arbeiten seit 25 Jahren an der Barrierefreiheit des öffentlichen Lebens.“ Tschöpes Koalitionspartner, der grüne Sozialpolitiker Horst Frehe, zeichnet hingegen ein anderes Bild: In der Bremer Verwaltung gebe es „noch erhebliche Widerstände“ was die Realisierung der Selbstbestimmung angeht.

Wie alle Bundesländer muss Bremen die 2009 von Deutschland ratifizierte Behindertenrechtskonvention (BRK) der UN umsetzen. In diesen Wochen berichtet die Bundesregierung der UN von den Fortschritten. Doch ob in Bremen genug dafür getan wurde, ist umstritten.

In 50 Artikeln formuliert die BRK, wie Behinderten eine möglichst schrankenlose Beteiligung am öffentlichen Leben garantiert werden soll: Nicht nur Inklusion Behinderter etwa in Schulen wird da verlangt, sondern auch der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt, Barrierefreiheit bei Freizeit- und Kulturangeboten oder das Recht, die eigene Wohnform zu wählen. Der Bund und Länder wie Rheinland-Pfalz haben schon vor einem Jahr damit begonnen, „Aktionspläne“ aufzustellen. Bremen nicht.

Dabei sind sich auch hier mittlerweile alle Parteien einig, dass ein solcher Plan erarbeitet werden müsste. Doch auf einen entsprechenden Antrag konnten sich Grüne und SPD bislang nicht einigen.

Tschöpe sieht in Bremen zwar positive Entwicklungen: Es sei das erste Bundesland, dass das Wohnen in Behindertenheimen zugunsten einer „dezentralen Versorgungsstruktur“ aufgegeben habe. Auch der Nahverkehr habe „Modellcharakter“, das Werkstattkonzept sei „solide“. Frehe entgegnet, dass „unabhängig von der politischen Farbe ist in den Ressorts noch nicht verstanden worden, dass es bei der BRK um Menschenrechte geht.“

Er will deshalb einen nicht-ständigen Ausschuss der Bürgerschaft einrichten. Der soll „alle Rechtsbereiche“ auf ihre BRK-Kompatibilität überprüfen. Dies könnte etwa Änderungen im Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr, im Landesstraßengesetz oder im „Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten“ (PsychKG) erforderlich machen.

Ob ein solcher Ausschuss nötig ist, wird von Tschöpe bezweifelt. Auch das PsychKG will er nicht antasten, die Landesbauordnung hingegen schon. Er glaubt, dass ein Aktionsplan auf jeden Fall Teil der kommenden Koalitionsverhandlungen sein wird. Der Senat werde verpflichtet, diesen zu erarbeiten.

Behindertenverbände fordern schon lange einen BRK-Aktionsplan. Sie hoffen, dass sie ihre Teilhaberechtev damit nicht mehr mühsam einzeln erstreiten müssen. Dieter Stegmann vom Arbeitskreis „Bremer Protest gegen Diskriminierung und für Gleichstellung behinderter Menschen“ erinnert daran, dass es in der Vergangenheit vor allem die Behinderten selbst waren, die etwa die Barrierefreiheit der BSAG, beim Schulgesetz oder beim Wahlgesetz durchgesetzt hätten.

Auch der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück kann nicht nachvollziehen, wieso es nicht schon längst einen Aktionsplan gibt. Die offenbar im Senat gehegten Befürchtungen, dieser könne die Haushaltskonsolidierung gefährden, teilt er nicht. Für Steinbrück geht es darum, bei Investitionen auf Barrierefreiheit zu achten: „Wenn die Finanzsenatorin barrierefreie Software für die Verwaltung einkauft, fördert dies die Nachfrage solcher Produkte,“ sagt er.

Er kennt in Bremen noch viele Hürden für Menschen mit Behinderung. Der Haltestellenbereich am Hauptbahnhof sei eine „Angstzone“, der Bahnhofsvorplatz „verbesserungsbedürftig“. Auch beim Bremer Ratskeller müsse ein behindertengerechter Zugang her.

Bremens Schwerpunkt liege auf der Inklusion im Bildungsbereich, sagt Karin Lüsebrink, die Referatsleiterin für Behindertenpolitik im Bremer Sozialressort. „Alle Länder setzen ihre Prioritäten.“ Frehe weist hingegen darauf hin, dass die UN-Behindertenrechtskonvention durch die Ratifizierung ein verpflichtendes Bundesgesetz ist. Auf der Änderung des Schulsystems dürfe sich Bremen nicht ausruhen. „Auch wenn das in der Tat ein Riesenschritt war.“