Da reimt sich Flittchen auf Igittchen

NEUKÖLLNER OPER Kapitalismuskritik, jetzt auch gesungen: Feridun Zaimoglu und Günter Senkel machen erstmals Musiktheater

Der Karl-Marx-Straßen-Kiez hat ja immer noch ein schlechtes Image. Im knallharten Neukölln, diesem Auffangbecken der Zugereisten und nie irgendwo Arrivierten wohnen die Kanaken, der Abschaum. Seltsam, dass vorher nie jemand Feridun Zaimoglu gefragt hat, ob er nicht ein Neukölln-Stück schreiben wolle.

Das aber tat nun die Neuköllner Oper, und Zaimoglu machte sich mit seinem Kodramatiker Günter Senkel ans Werk. Und siehe da, der Wortzauber der hochmögenden Sprachkünstler passt zum Neuköllner Musiktheater wie das Tüpfelchen aufs i.

Es hätte nicht unbedingt ferngelegen, zu diesem Anlass die „Kanak Sprak“ wieder auszumotten, die Zaimoglu einst erfand, bevor er deutscher Großschriftsteller wurde. Dieser Versuchung, falls es eine war, haben die Autoren widerstanden, haben kein Türkenstück daraus gemacht, sondern ein Deutschenstück, in dem lediglich in einer Nebenrolle ein türkischer Kioskbetreiber auftaucht. Das multikulturelle Durcheinander der neuköllnischen Diaspora kommt vor allem in den Tiraden der alternden Dorothee vor, einer pensionierten Klavierlehrerin, die gegen alles Fremde wettert. „Deutsche Zähne mahlen fremder Völker Kost!“, ruft sie aus und ergeht sich in einer orgiastischen Litanei, die deutsches Gemüse und anderes Gekochte beschwört.

Wenn es Dorothee am Schluss des Stücks schlecht ergeht, dann aber nicht ihres Rassismus, sondern der Spekulanten wegen. „Discount Diaspora“ hat nämlich auch eine Art Handlung, deren Katalysator der Spekulant Fred ist, der „Möglichmacher“, der einen Schrank voller Geldscheine besitzt. Fred ist es so gewöhnt, alles kaufen zu können, dass er der Hure Sandy, die einst aus Plauen fortzog, weil es dort zu wenig Drogen gab, das Angebot macht, für neun Millionen ihr ganzes Leben bei ihm zu bleiben.

Sandy überlegt sich das, findet es aber eigentlich auch ganz okay, Typen wie dem Loser Matze, der als Running Gag wiederholt das „Ich ficke für mein Leben gern“-Lied singt, für 20 Euro einen zu blasen. Im Übrigen nimmt sie Klavierunterricht bei Dorothee und hofft, irgendwann mit selbst komponierten Klingeltönen reich zu werden.

Die Kapitalismuskritik kommt insgesamt schon recht wohlfeil daher, aber gleichzeitig gibt es da diesen heimeligen Wiedererkennungseffekt, wenn es auf der Bühne irgendwie so brechtisch zugeht mit Kapitalisten, Nutten und anderen kleinen Leuten und alle noch in regelmäßigen Abständen was zu singen haben. Auch die Musik, die von den Brüdern Vivan und Ketan Bhatti für eine sehr urban wirkende Besetzung geschrieben wurde, die unter anderem eine Loop-Station, eine Posaune und allerlei Schlagwerk umfasst, gibt sich mitunter recht Kurt-Weill-haft mit einem rhythmisiert-deklamatorischen Gestus, der jedoch immer wieder zurückgenommen wird.

Zwischen sirrender elektronischer Hintergrundakustik und sehr artikuliertem, das Geschehen gleichsam ironisch begleitendem Kommentar bedient die Partitur eine imposante Bandbreite musikalischer Zustandsbeschreibungen. Die Gesangspartien, von den SängerInnen durchweg glänzend dargeboten, sind weniger auf Ohrwurmqualitäten hin angelegt als auf deklamatorischen Nutzwert. Der Text wiederum legt sich auf diese musikalische Unterlage wie die Butter aufs Brot.

Der gewisse linguistische Narzissmus, der Senkel/Zaimoglu-Texten eigen ist, gedeiht in der musikalischen Umgebung prächtig und treibt geradezu humoristische Blüten. Da reimt sich Flittchen auf Igittchen, und auch sonst, ja, darf gelacht werden! Ist dies vielleicht nur der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen zwei bis dato geschiedenen Bühnenwelten? Gegen eine Fortsetzung wäre überhaupt gar nichts einzuwenden.

KATHARINA GRANZIN

■ Nächste Vorstellungen: Do. 24. 3. bis So. 27. 3., jeweils 20 Uhr