BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNERDieses wilde Leben nach den Hausaufgaben

Kirsten Reinhardts Gastrokritik: Wo sind im Babybezirk Prenzlauer Berg eigentlich die Teenager? Im Knaack-Klub. Da casten sie Sänger für ihre Band

Prenzlauer Berg, so konnte man hinreichend lesen, sei der kleinkinderreichste Bezirk Berlins. Manche behaupten, das Baby sei das neue Modeaccessoire des Kiezbewohners. An jeder Ecke werden Spielplätze gebaut, und auf der Straße läuft man stets Gefahr, von einem sündhaft teuren Bugaboo-Kinderwagen überrollt zu werden.

Alte Leute und Teenager sind rar. Das ist ein wenig befremdlich, und so tut der Bewohner dieses Bezirks gut daran, ab und an in den angrenzenden Wedding rüber zu spazieren. Ein bisschen echtes Leben einatmen.

Tatsache ist: im Prenzlauer Berg GIBT es Jugendliche, zwei Gesamtschulen, drei Berufsschulen und mehrere Gymnasien. Aber wo treiben sich die Kids herum? Passiert man an einem Freitag- oder Samstagabend die Greifswalder Straße Nummer 224, fällt eine Kilometerschlange auf: Mädchen, die aussehen wie Avril Lavigne, und Jungs, die sich am Tokyo-Hotel-Style versucht haben, warten vor dem Knaack-Klub. Beim Einlass wird brav der „Perso“ vorgezeigt. Der Knaack-Klub hat drei Stockwerke mit verschiedenen Tanzflächen und Musik von 80s-Hits über Crossover und Indie bis Hiphop. Im Vorderhaus werden Konzerte gespielt. In der Dizzy Lounge belagern Teenager Billardtische und Flipper, und auf der Bühne drängen sich die Karaoke-Süchtigen. Aus 1.600 Stücken kann man sein Lied wählen, es gibt Wettbewerbe und etliche Stammsänger.

Neben uns sitzt ein braunäugiger Schmächtling mit Pete Doherty-Hut. Er heißt Clemens, ist 21, Bassist und Krankenpfleger. Und wer hätte es gedacht? „In der Band heißt er auch ‚Dirty Pete‘ “, sagt sein Kollege. Der heißt Niko, und ihn nennt man „Der Klopfer“. Infolgedessen spielt er also Schlagzeug. Außerdem ist er Tierpfleger bei den Reptilien im Tierpark Friedrichsfelde. Die beiden sind hier, um einen neuen Leadsänger für ihre Surfpunk-Band Frank Rabbit zu casten. Zwei Jungs singen gerade „Heart Shaped Box“ von Nirvana, die Mädchen drängeln sich entzückt vor der Bühne. Die Karaoke-Cobains kreischen hingebungsvoll: „Yeeeaaaaiijjjjj!“ Clemens und Niko gucken interessiert. „Die sind nicht schlecht, aber schreien kann auch unser Gitarrist …“

Ein wenig wirkt der Knaack-Klub wie ein überdimensionales Schülercafé mit Alkoholausschank. Wildes Leben nach den Hausaufgaben. Für alle, die sich noch eine Trinkgrundlage schaffen müssen, werden im Hof Würstchen gegrillt. Wahnwitzige nehmen Bratwurst mit gebratenen Nudeln für 3,50 Euro. Soll noch mal einer sagen, im Prenzlauer Berg gibt’s keine Jugendlichen. Wo aber sind die Alten?

Knaak, Greifswalder Str. 224, M4 und Bus 200 und 220, Am Friedrichshain, geöffnet Mo., Fr. und Sa. ab 22 Uhr, Eintritt Mo. frei, Fr. und Sa. für Mädchen bis 24 Uhr frei, für Jungs bis 23 Uhr 1 €, danach 5 €, Tipp: Karaoke