Boxer, Philosoph, Kämpfer

Tommaso Biamante hat mit seinen 83 Jahren viel gesehen. Doch nichts übertrifft die Schönheit seiner Stadt Salerno. Ein Spaziergang durch Geschichte und Gassen mit einem Urgestein der Amalfiküste

von BARBARA SCHAEFER

Tommaso Biamante kann das Kämpfen nicht lassen, weder im übertragenen noch im wörtlichen Sinn. Eines Sommers, während des Wahlkampfs in Salerno, streifte er nachts durch die Straßen seiner Stadt und fand illegal geklebte Plakate der gegnerischen Partei. Er traf auch den jungen Mann, der die Plakate klebte. Das Aufeinandertreffen endete in einer Prügelei. Tommaso Biamante, 83 Jahre alt, überzeugter Kommunist und ehemaliger Berufsboxer – ein Kämpfer wie eh und je. „Onorevole“ Biamante – der Titel zeichnet Biamante als ehemaliges Parlamentsmitglied aus – verlässt am späten Nachmittag sein Haus. Es ist die Zeit, in der er nach der Hitze des Mittags durch die Gassen flaniert. So lebe er seine Beziehung zu der geliebten Stadt, bekennt er.

Er schlendert den Corso Vittorio Emanuele auf und ab, um schließlich in die eine Bar einzukehren, in die er jeden Nachmittag geht. Er scherzt mit den jungen Kellnerinnen, der alte Charmeur, setzt sich an den Ecktisch im Freien, an dem schon ein weiterer älterer Herr sitzt, drei weitere Gästen kommen hinzu, wie jeden Nachmittag. Ein junger Freund möchte ein Glas Wasser bestellen, es ist ja immer noch sehr heiß. „Nichts da!“, kommandiert der Onorevole. „Hier wird Eis gegessen. Es ist das beste Eis der Stadt.“ Worauf sich ein Disput entspinnt zwischen den Herren. Das Limoneneis, befindet der dicke Schwarzgekleidete, sei drei Häuser weiter doch viel zitroniger. Doch die Schokolade, wirft ein dürrer Eiferer ein, sei unübertrefflich unten an der Promenade. Der Onorevole knurrt und hebt seinen markanten Picasso-Schädel. „Das Eis hier ist doch nicht zu überbieten“, er bestellt demonstrativ drei Kugeln für sich und für den jungen Mann ebenfalls. Basta.

Eine gewisse Vehemenz ist dem Herrn eigen. Ohne die hätte er auch nicht seine erstaunliche Biografie hingelegt. Der Kommunist, „Leninist!“, verbessert er, war Bürgermeister in Amalfi. Dort empfing er die Königin von England und schwamm mit Jackie Kennedy im Meer. Die sei ihm über die Maßen zugetan gewesen, flüstert man. Als junger Mann hatte er Philosophie studiert, dann aber schickte ihn seine Partei zum Studium nach Moskau. Er machte ein Diplom in Wirtschaft, einen absurderen Werdegang kann man gar nicht ersinnen. Nirgends sonst dürfte ein sowjetisches Wirtschaftsdiplom so wenig gegolten haben wie im Süden Italiens. Die Vorstellung, hier Fünf-Jahres-Pläne umsetzen zu können, wirkt wie Hohn. Denn Süditaliener sind die Meister des Ad-hoc-Funktionierens. Wenn es eilt, klappt fast alles, „L’arrangiarsi“, sich zu arrangieren wird zur Lebenskunst. Das Wirtschaftsdiplom jedenfalls konnte den jungen Biamonte nicht ernähren, er blieb Philosoph und wurde Boxer.

Salerno liegt am Meer. Zur Rechten beginnt die Amalfiküste, zur Linken zieht sich die Bucht hin bis zur den Tempeln von Paestum. Salernos Altstadt zieht sich einen Hügel hinauf, die verwinkelten Gassen streben dem Dom zu, am Meer macht sich eine palmenbestandene Uferstraße breit. Kurz: Salerno hat nun wirklich alles, was eine touristisch attraktive Stadt braucht – und ist doch nahezu vom Tourismus unentdeckt. Man könne wirklich heulen, sagt der Onorevole, „dass der Süden nicht in der Lage ist, etwas aus seinem Reichtum zu machen“. Salernos goldene Zeit war das Mittelalter. Doch in den jüngeren Jahrzehnten trafen Salerno mehrere Schläge: Vor der Landung der Alliierten 1943 wurde die Stadt bombardiert, zehn Jahre später verwüstete eine Überschwemmung die Straßen. Im Kreuzgang des Klosters mit den 28 antiken Säulen aus Paestum wurden die Särge aufgereiht.

Zwischen 1951 und 1981 verdoppelte sich die Bevölkerung. Wer besser verdiente, zog raus aus der Altstadt. Schließlich brach die Cholera aus. Früher habe in der Altstadt das Elend gewohnt. Fischer, Nutten, Arbeitslose. „Als einmal, noch vor dem Krieg, der König zu Besuch kam, haben die Leute von den Balkonen auf ihn runtergepisst. Es war eine verschworene Gemeinschaft mit eigenen Regeln.“

Und als sei das noch nicht genug, erschütterte im Herbst 1980 ein schweres Erdbeben Kampanien, „nach dem Krieg war die halbe Stadt zerstört, das Erdbeben von 1980 hat ihr den Rest gegeben“, sagt Biamonte. Um gleich anzufügen: „Salerno! Ich liebe diese Stadt. Sie hat den höchsten Wohnwert Italiens.“ Tatsächlich erfährt die süditalienische Stadt einen Aufschwung, die Altstadt wurde aufgemöbelt, es beginnt die Gentrifizierung: Erst kamen Künstler, dann teure Geschäfte.

Biamonte ist stolz, dass die Altstadt immer noch eine Bastion der Linken sei, „unser stärkster Wahlbezirk“. Sie hätten es geschafft, dass nicht nur Reiche eingezogen sind, sondern viele der Familien von früher wohnen bleiben konnten. In den 70er-Jahren war Biamonte vier Jahre Bürgermeister von Amalfi. Wie kam das denn? Der Onorevole grinst sein schelmisches Grinsen. Baden sei er gewesen, in Amalfi, „mit einem schönen Mädchen“. Zwei Arbeiter seien dazugekommen und hätten ihn bestürmt, er müsse sich aufstellen lassen, als Bürgermeister kandidieren. „Die gingen mir ganz schön auf die Nerven. Ich habe gesagt: ‚Ja, mache ich‘, um sie loszuwerden.“ Der Umgang mit den Reichen, den Kapitalisten, wie war das? Sie hätten ihn mit Respekt behandelt, wie er sie. Nach prominenten Gästen befragt, wird er nun seltsam schweigsam, mag keine Namen nennen, um gleich wieder loszupoltern: Ganz anders sei es geworden, als er dann Abgeordneter in Rom wurde, „ich bin den Leuten ganz schön auf den Sack gegangen“.

Ein Rabauke ist der Onorevole geblieben, aber auch ein Philosoph. Er wohnt an der viel befahrenen Uferpromenade in einer Wohnung, die fast nur mit Bücherregalen möbliert ist. An der Wand hängen kommunistische Plakate, ein Foto von ihm als Boxer und Zeichnungen, die ihm viel bedeuten. Carlo Levi hat diese angefertigt, der Autor von „Christus kam nur bis Eboli“. Einer, den die Faschisten in die Verbannung geschickt hatten, nicht weit von hier, in die Berge der Basilikata. Wenige Wochen vor dessen Tod habe Levi ihm die Zeichnung geschenkt, sagt Biamonte.

Er mag immer ein Charmeur gewesen sein, auf jeden Fall ist er es heute. Und ein Mensch mit ungehaltenen Umgangsformen ist er auch. Aber vor allem war er stets ein Kämpfer. In einem Interview wurde er nach seinem erschütterndsten Jugenderlebnis gefragt. Onorevole Biamonte erzählt noch einmal die entsetzliche Geschichte aus seiner Partisanenzeit. In einer Kampfhandlung sprang eine junge Frau für ihn ein, „sie starb, durchlöchert von deutschen Kugeln, sie rettete mir das Leben. Das bewegt mich noch immer und zerreißt mir das Herz.“

Ein Vorabdruck aus:Barbara Schaefer: „Limoncello mit Meerblick. Unterwegs an der Amalfiküste und im Cilento“. Picus Lesereisen, 132 Seiten, 13,90 € (erscheint im März)