Der moderne Religionswächter

Gestern fand einer der Höhepunkte der Türkeireise des Papstes statt. Benedikt XVI. traf mit Ali Bardakoglu zusammen, seit 2004 Chef der staatlichen Religionsbehörde Dianet und damit oberster Repräsentant der Muslime des Landes. Bardakoglu zählt zu den entschiedenen Reformern der Türkei. Der 54-jährige Theologieprofessor führt die Oberaufsicht über sämtliche Moscheen im Land.

Nach Gründung der türkischen Republik wurde die Religion als Ausdruck des laizistischen Charakters des Landes quasi unter Staatskuratel gestellt. Die Religionsbehörde ist bis heute Arbeitgeber sämtlicher Imame und kontrolliert auch die Predigten in den Moscheen. Bardakoglu hat damit eine Zwitterrolle, die in der muslimischen Welt einmalig ist: Er ist Staatsangestellter und zugleich der oberste Islamgelehrte des Landes.

In beiden Funktionen hat Bardakoglu sich vor allem für die Belange der Frauen eingesetzt. Unter seiner Leitung wurden erstmals Frauen mit leitenden Funktionen der Religionsbehörde betraut, und er setzte durch, dass auch Frauen Muftis werden können. Zudem hat er ein brisantes Forschungsprojekt initiiert. Das Begleitbuch zum Koran, in dem die Aussagen und Anweisungen des Propheten Mohammed gesammelt sind und das vor allem im sunnitischen Islam Gesetzeskraft hat, wird nach frauenfeindlichen Passagen untersucht.

Bardakoglu lässt textkritisch nachforschen, welche Äußerungen über Frauen, die ihrer Diskriminierung Vorschub leisten könnten, auf den Propheten zurückgehen und welche von späteren Kalifen stammen. Er ist davon überzeugt, dass der Religionsgründer selbst die damaligen Frauen eher aus ihrer patriarchalischen Unterdrückung befreien wollte, statt diesen Zustand festzuschreiben. So nimmt er denn auch gegen Zwangsheiraten und die fatalen Ehrvorstellungen, nach der junge Frauen getötet werden, wenn sie angeblich die Ehre der Familie verletzt haben, Stellung. Solche Handlungen seien nicht mit dem Islam zu begründen oder zu rechtfertigen.

Gerade der moderne Professor Bardakoglu war deshalb besonders empört darüber, dass der Papst in seiner Regensburger Rede den Anschein erweckte, der Islam sei eine archaische, gewalttätige Religion. Die vom byzantinischen Kaiser ausgeliehene Formulierung war seiner Meinung nach ein Angriff auf die Grundpfeiler des Islam. Trotzdem kündigte Bardakoglu vor dem Treffen mit dem Papst an, er persönlich werden in dem Gespräch von Theologieprofessor zu Theologieprofessor nicht auf Regensburg zurückkommen, sondern versuchen, einen konstruktiven Dialog zu nach vorne führen. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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