Analytiker mit extremer Leidenschaft

HANDBALL Dagur Sigurdsson von den Füchsen Berlin wird Bundestrainer. Sein Vorgänger soll ihm helfen

Dass nun das Berliner Trainer/Manager-Gespann ebenfalls beim DHB eine entscheidende Rolle innehat, sorgt auf Klub- wie auf Verbandsseite auch für Skepsis

BERLIN taz | Vielleicht geben zwei unterschiedliche Situationen ganz gut wieder, wer er eigentlich ist, dieser Neue an der Seitenlinie der deutschen Handball-Nationalmannschaft.

Nach Spielen seines Klubs, der Füchse Berlin, sitzt dieser Dagur Sigurdsson immer als Erster bei der Pressekonferenz – lange bevor sie beginnt. Minutenlang sitzt er ruhig, fast regungslos da, nachdem er höflich „Hallo“ gesagt hat. Der 41-Jährige schaut in den Raum, wirkt nachdenklich. Kurz darauf gibt er dann mit leichtem isländischem Akzent einen komprimierten, sachlichen, sportlich-analytischen Vortrag zum Spiel ab – geht sein Team mal als Verlierer vom Feld, beginnt er diesen immer mit der Wertschätzung des überlegenen Gegners. Ein Sportsmann.

Die 60 Minuten während des Spiels sieht man einen anderen Dagur Sigurdsson. Da steht einer an der Außenlinie, der wild mit den Armen fuchtelt, der sich kaum zurückhalten kann, aufs Feld zu rennen. Der ständig mit seinen Spielern kommuniziert; mit denen auf dem Feld, mit denen auf der Bank. Der brüllen kann, wie sich das für einen Handballtrainer bei Auszeiten gehört. Der in Extremsituationen auf außergewöhnliche Maßnahmen setzt, etwa bei großem Rückstand mit einem Feldspieler mehr und ohne Torwart im Angriff spielt. Einer, der alles für den Erfolg tut.

Sigurdsson wird ab sofort das Nationalteam betreuen, am heutigen Dienstag wird er in Leipzig vom Deutschen Handballbund (DHB) offiziell vorgestellt. Nachdem Flensburgs Trainer Ljubomir Vranjes dem DHB abgesagt hatte, galt Sigurdsson als Wunschkandidat, während auch noch Markus Baur, der soeben mit der U20 des DHB Europameister geworden war, im Gespräch war.

In dieser Saison soll Sigurdsson zweigleisig für das Vereins- wie das Nationalteam zuständig sein, ehe die Füchse ihn zum 1. Juli 2015 ganz für die DHB-Tätigkeit freigeben. Kurios ist, dass Martin Heuberger, der nach der sportlich nicht erreichten WM-Qualifikation im Juni als Chefcoach geschasst wurde, Sigurdssons Assistent werden soll. Da das DHB-Team dank einer Wildcard wohl bei der WM in Katar im Januar 2015 dennoch starten darf, wird dies das erste große Turnier des neuen Duos. Zuvor beginnt Ende Oktober die Qualifikation für die EM 2016.

Sigurdsson ist nicht nur deshalb eine logische Wahl, weil bei ihm leidenschaftliche Ansprache, menschlicher Umgang und taktisch-analytische Strenge zusammenkommen. Der 215-malige isländische Nationalspieler hat gezeigt, wie man selbst unter schwierigen Bedingungen das Optimum rausholt: Mit den Füchsen erreichte er zuletzt viermal hintereinander die Top Five der Bundesliga, in der abgelaufenen Saison holte er mit einem Finalsieg gegen Flensburg erstmals den DHB-Pokal nach Berlin. Als Trainer begann er 2003 bei Bregenz in Österreich, ehe er Nationalcoach des Nachbarlandes wurde und seit 2009 bei den Füchsen für den Aufschwung des Klubs verantwortlich war.

Dass nun mit Vizepräsident Bob Hanning und Sigurdsson das Trainer/Manager-Gespann aus Berlin ebenfalls beim DHB eine entscheidende Rolle innehat, sorgt auf Klub- wie auf Verbandsseite aber auch für Skepsis. DHB-Präsident Bernhard Bauer wiegelt hingegen ab: „Wir reden nicht nur vom Schulterschluss zwischen Verbänden und Vereinen, sondern wir wollen und werden diesen auch leben.“

JENS UTHOFF