Nach dem Schwebezustand greifen

ZWEIMAL MARGARITA BROICH Die Schauspielerin und Fotografin porträtiert ihre Kollegen nach getaner Arbeit, zu sehen im Martin-Gropius-Bau. Die Galerie Contributed zeigt ihre Bilder vom Westerwald, wo sie herkommt

„Ich bin, glaube ich, ein Malocher. Vorhin etwa habe ich zu Hause noch den Eisschrank abgetaut“

VON DAVID DENK

Margarita Broich hat keine Lust. Gerade noch hat sie zu Hause in Wilmersdorf per Fernseher drei Stunden lang zugeguckt, wie Japan gegen die atomare Katastrophe kämpft, und nun soll sie bei diesem leicht überkandidelten Westberliner Italiener über ihre Schauspielerporträts sprechen.

Broichs ungebremster Furor gilt besonders der Informationspolitik in Sachen Fukushima. „Man möchte jedem in die Fresse springen, der im Fernsehen den Mund aufmacht“, sagt sie. „Diese Verknüpfung aus Macht und Kriminalität hat sich weltweit durchgesetzt. Die läuft auf Schienen. Es gibt keinen anderen Gedanken mehr als Geld und Machterhalt – selbst mitten in so einem Unglück.“ Auch mit sich selbst geht sie hart ins Gericht: „Mich wundert’s, wie man angesichts dieser Katastrophe mit so viel Hingabe über Passepartouts nachdenken kann. Es gibt ja wohl derzeit nichts Überflüssigeres.“

Als junge Fotografin hat die heute 50-Jährige die ersten Parteitage der Grünen dokumentiert, sie lebt mit ihrem Kollegen Martin Wuttke zusammen, den beiden gemeinsamen Söhnen sowie wechselnden Freunden in einer WG. Ihr Konto, sagt sie, sei meistens leer – konservativ ist also nur ihr Vorname, den sie nicht einfach hinter sich lassen konnte wie den piefigen Westerwald. Ihrer Heimat ist eine zweite Ausstellung in Berlin gewidmet. „18 Jahre fühlte ich mich da eingeklemmt“, sagt Broich. „Mit Wiesen und Bäumen kann man mich heute noch jagen.“ Ihre Flucht zum Fotodesignstudium nach Dortmund habe sie als „Explosion“ empfunden.

Auch wenn Margarita Broich heute längst nicht mehr die Unschuld vom Lande von damals ist, der das Bochumer Schauspielhaus hinter den Kulissen zunächst vorkam „wie Sodom und Gomorrha“, hat sie sich eine angenehme Bodenständigkeit und Derbheit bewahrt. Als ihr Clubsandwich kommt, bietet sie ihrem Gegenüber ein Stück an und spricht mit vollem Mund weiter. Verschwiemelter Künstlersprech ist ihr fremd: „Ich bin, glaube ich, ein Malocher. Vorhin etwa habe ich zu Hause noch den Eisschrank abgetaut.“

Dass Broich heute Fotografin ist und Schauspielerin („Teufelsbraten“, „Der Vorleser“, Berliner Ensemble) und manchmal sogar eine Fotografin, die Schauspieler porträtiert, hat mit der zweiten Flucht in ihrem Leben zu tun: der aus Dortmund, wo nach dem Studium und einer Trennung plötzlich nur noch Platz war für sie oder ihren Exfreund. Broich überließ ihm Dortmund und ging als Fotografin ans Bochumer Schauspielhaus unter Claus Peymann.

Aus heutiger Perspektive war ihr damaliger Job ein „merkwürdiges, intuitives Ranrobben“ an den späteren Schauspielerberuf, den sie nach zwei Jahren in Bochum an der Berliner Hochschule der Künste lernte. „Wenn ich da nicht gleich angenommen worden wäre, hätte ich Medizin studiert. Den schwereren Weg über Privatstunden und Workshops wäre ich wohl nicht gegangen.“

Damit waren die Voraussetzungen geschaffen für ein Projekt, das mit Selbstporträts Broichs vor dem Garderobenspiegel begann. Sie will den Schwebezustand von Schauspielern nach getaner Arbeit einfangen, „diesen Moment, in dem man in sein eigenes Ich zurückkehrt, auf sich geworfen wird, mit sich allein ist, diesen Moment, der so viel mit unserem Beruf zu tun hat“. Weil nach der Vorstellung auch nach der Verstellung ist, sind ihre Kollegen in dieser Situation nach Broichs Beobachtung so dankbare Motive wie selten: „Ihr Darstellungstrieb ist abgearbeitet, runtergedimmt, gebrochen.“ Nach dieser Durchlässigkeit suche sie mit ihren Fotos, sagt sie.

Die Prominenz ihrer Modelle von Otto Sander über John Malkovich bis zu Kate Winslet, die Margarita Broich bei gemeinsamen Dreharbeiten oder Theaterproben angesprochen hat, sei keineswegs Kalkül. Diese Welt sei ja nichts Exotisches für sie, „das ist mein Zuhause. Und davon will ich erzählen.“

Das Fotografieren gibt Broich zudem die Unabhängigkeit, nicht jede Rolle als „Freundin von …“ annehmen zu müssen, wie sie den unattraktiven Teil ihrer Angebote umschreibt. Die Frage, ob das Fotografieren sie dem einen oder anderen Kollegen näher gebracht habe, verneint sie und ergänzt nach kurzem Nachdenken, „aber dem Beruf bin ich dadurch wieder näher gekommen.“ Vor etwa zehn Jahren habe sie einen Theaterkoller bekommen, weil sie niemanden aus der normalen Welt gekannt habe außer dem Babysitter. „Beim Fotografieren war ich dann regelrecht gerührt von der Kraft der Schauspielerei und manchen Kollegen, vor denen ich nur den Hut ziehen kann.“ Dazu gehören auch Theaterhelden wie Josef Ostendorf oder Jörg Pohl: „Die kennt keiner aus dem ZDF, aber die wollte ich unbedingt dabei haben.“

Apropos: Zur Vernissage im Gropiusbau hat Margarita Broich auch ihren Dortmunder Exfreund eingeladen. Schließlich hätte es die Ausstellung ohne seine „Hilfe“ womöglich nie gegeben. Wozu Liebeskummer nicht alles gut sein kann.

■ Im Martin-Gropius-Bau „Wenn der Vorhang fällt“, bis 30. Mai ■ In der Galerie Contributed „Portraits & Westerwald“, bis 28. April