Sarrazin: „Sie kriegen nichts!“

Der Berliner Senator predigt Realismus in der Finanzpolitik: Das Bundesverfassungsgericht werde Bremen nicht helfen und die anderen Länder würden nichts geben: Bremen muss sich selbst helfen

von Klaus Wolschner

Politiker glauben meist, dass man viel Geld ausgeben muss, wenn man „gut ankommen“ will. Der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) beweist, dass dem nicht so ist. Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung ist er am Freitagabend nach Bremen gekommen, um mit seinem parteilosen Bremer Kollegen Ulrich Nußbaum zu streiten. Was können finanziell schwachbrüstige Stadtstaaten vom Bundesverfassungsgericht erwarten, lautete die Frage. Nichts, meint Sarrazin. Das Berlin-Urteil habe das gezeigt. 60 Milliarden Schulden, das ist das Dreifache des Berliner Jahresetats, seien keine Haushaltsnotlage, fand das Gericht.

Bremen solle sich klar machen, was das heißt. Es wäre fatal, am Tag nach dem Urteil mit leeren Händen dazustehen und keine Idee zu haben, wie es weitergehen kann. Sarrazin sagt den Bremern ins Gesicht, „dass Sie nichts kriegen“. Und da weder die reichen Länder mehr abgeben noch die neuen Bundesländer ihren bis 2019 garantierten Solidaritätsbeitrag Ost in Frage stellen wollen, würde sich auch beim Länderfinanzausgleich bis 2009 nichts ändern.

Die Bremer hören solche klaren Sätze nicht gerne? „Das verstehe ich“, kontert Sarrazin, „vor einem Jahr standen wir auch vor einer Wahl und vor der mündlichen Verhandlung, da bin ich auch auf Eiern gegangen bei öffentlichen Aussagen.“ Aber wenigstens intern müsse man für den Tag danach „von diesen Fakten“ ausgehen. Und die Zeit bis 2019 sei „wie eine Ewigkeit“, eine „Trotzhaltung“ bringe nichts.

Bremens Lage ist schlechter als die Berlins, kontert Nußbaum, „das könnte, wenn wir Glück haben, dazu führen, dass wir doch noch Sanierungshilfen bekommen.“ Seit Monaten arbeitet der Senat an einer Ergänzung der Klageschrift, um diesem Glück etwas nachzuhelfen.

Bremen habe keine Wahl, sondern müsse auf Hoffnung bauen, machte für die Bremer Grünen deren Fraktionsvorsitzende Karoline Linnert klar: „Ich kenne niemanden, der eine Idee hat, wie man aus einer strukturellen Haushaltslage, in der drei Milliarden Einnahmen jedes Jahr insgesamt vier Milliarden Ausgaben gegenüberstehen, aus eigener Kraft herauskommen kann.“

Sehr vage formulierte Nußbaum auch die Hoffnungen auf die Stufe II der Föderalismusreform: „Wir sind bereit, mehr Wettbewerb einzuräumen.“ Das bringt Bremen in Konfrontation zu den „armen“ Bundesländern, soll es doch die Chance eröffnen, dass von der Wirtschaftskraft mehr hängen bleibt als bisher. Das große Bremer Investitionsprogramm habe „fiskalisch nicht die Effekte gehabt, die wir uns damit versprochen haben“, muss Nußbaum nämlich einräumen. Der „return of invest“ der Bremer Investitionen sei, fiskalisch gerechnet, gering. Es habe offenbar die „Fehleinschätzung“ vorgeherrscht, das kleine Bremen könne „den Trend umkehren“. Ralf Fücks, für die Böll-Stiftung als Moderator der Debatte auf dem Podium, fand daran immerhin das Positive, dass dieses Experiment mit tödlichem Ausgang im kleinen Bremen stattgefunden hat und nicht etwa in NRW.

Die Kosten dieses Bremer Sanierungs-Experiments konnte Sarrazin mit einer Klarsichtfolie an die Wand malen: Während Berlin seine Ausgaben seit 1993 senkte, stiegen sie in Bremen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt deutlich an – um erst 2003 wieder den Level von 1993 zu erreichen. Der „Bauch“ in dieser Ausgabenkurve macht in der Summe kumuliert rund 7 Milliarden Euro aus, schätzte Sarrazin, und Nussbaum stimmte ihm darin zu. Sieben Milliarden, die Bremen eingespart hätte, wenn es in seinen Ausgaben – und das waren vor allem als „Investitionen“ deklarierte Ausgaben – in der Sanierungszeit im Bundestrend geblieben wäre. Gebracht haben die „Investitionen“ nichts – die Steuer-Einnahmen Bremens sanken gegenüber dem Bundestrend ab. Sieben Milliarden Euro Schulden weniger – das würde die Sanierungsaufgabe nicht ganz so verzweifelt unrealistisch aussehen lassen. Meinte Sarrazin.

Auf die Frage, warum ein Land nicht Insolvenz anmelden sollte, wurde Sarrazin fröhlich. Das wäre wunderbar, meinte er, er würde sofort die Zahlungen an die Banken einstellen, die Löhne der im Öffentlichen Dienst Beschäftigten um 15 Prozent senken und die Hartz IV-Empfänger mit ihren gesetzlichen Ansprüchen zum Bund schicken. Doch leider dürfe er das nicht.