american pie
: Die Heilkraft der Heiligen

Die New Orleans Saints sind die Überraschungsmannschaft der NFL. Ihre Erfolge sind Balsam auf den Wunden einer gebeutelten Stadt

Es ist noch nicht so lange her, genau 15 Monate, da war der Louisiana Superdome zu New Orleans das Symbol für eine sterbende Stadt. Eine ramponierte Ruine, in der 20.000 Menschen Zuflucht suchten vor dem Hurrikan Katrina. Leichen lagen zwischen den Zuschauerrängen, Regen tropfte durch Löcher im Dach, Müll türmte sich stinkend in den Katakomben. Gerade mal drei Monate ist es her, als sämtliche verfügbaren Football-Experten den New Orleans Saints eine Saison im Tabellenkeller prophezeiten, viele Niederlagen und nicht die geringste Chance, sich für die Playoffs zu qualifizieren.

Dieser Tage nun spielen die Saints in einem halbwegs wiederhergestellten Superdome überraschend erfolgreichen Football. Nach dem überzeugenden 34:10-Heimerfolg gegen die zuletzt wieder erstarkten San Francisco 49ers steht New Orleans mit acht Siegen bei nur vier Niederlagen an der Spitze seiner Division und besitzt beste Chancen auf die Endrunde.

Die Saints sind eine Mannschaft mit einer Mission. Die in Bundesliga-Städten wie Kaiserslautern oder Cottbus besungene Arie von der Region, für die ein Abstieg eine Katastrophe wäre, wird in Louisiana mit einer anderen Notensetzung angestimmt: Hier hat die Katastrophe bereits stattgefunden, der Sport dient als Ablenkung für die gebeutelte Bevölkerung sowie als Motivation für die immer noch wohl gebetteten Profisportler.

Vor dem ersten Saisonspiel lud Cheftrainer Sean Payton seine Spieler in den Superdome, ließ die Lichter dimmen und einen Film vorführen mit den Verwüstungen, die Katrina hinterlassen hatte. Seitdem vergeht kaum ein Interview, in dem der Trainer nicht andeutet, dass sein Team „eine Stadt zu heilen“ habe. „Hier ist es anders als in anderen NFL-Städten“, sagt Verteidiger Steve Gleason, „hier gibt es eine tiefe emotionale Verbindung zwischen Fans und Spielern. Aber man muss auf dem Spielfeld aufpassen, dass einen diese Gefühle nicht überwältigen.“ Ein Problem, das die Saints im vergangenen Jahr heimsuchte. Direkt nach Katrina startete die Mannschaft viel versprechend in die Saison und kam dann doch nicht mit der Bürde des Hoffnungsträgers zurecht. Damals war der Superdome noch ein Torso, die Heimspiele fanden in San Antonio und Baton Rouge statt. Am Ende standen nur drei Siege und viel Frust. Vor dieser Spielzeit kam mit Payton ein neuer Chefcoach, der den halben Kader austauschte und sich im Draft die Rechte an Reggie Bush sicherte. Der Running Back gilt als Jahrhunderttalent mit seinen ans Akrobatische grenzenden Fähigkeiten, auf engstem Raum in Sekundenbruchteilen die Laufrichtung zu ändern.

Payton versprach, den Neuling zur Allzweckwaffe aufzubauen: Der 21-Jährige sollte mit dem Ball laufen, ihn fangen, in den Special Teams eingesetzt werden. Prompt verkauften die Saints alle ihre Saisonkarten – in einer Stadt, die auch wirtschaftlich noch immer an den Katrina-Folgen laboriert. Doch statt Bush traten andere in den Vordergrund, vor allem Running Back Deuce McAllister und der neu verpflichtete Quarterback Drew Brees. Bush dagegen konnte die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen – bis zum vergangenen Samstag: Gegen San Francisco gelangen ihm gleich vier Touchdowns und er elektrisierte den Superdome mit atemberaubenden Antritten und Körpertäuschungen. „Man kann Football lange Zeit auf einem emotionalen Hoch spielen“, sagt McAllister, „nun fragen sich alle: Wann werden wir da wieder runterkommen?“ Womöglich ja nicht vor der Super Bowl, die die Saints noch niemals erreicht haben.

THOMAS WINKLER