MORGEN
: Ein bisschen wie Attwenger mit Raketentreibstoff, nur ohne Gesang

Gurzuf ist ein Schwarzmeerbadeort auf der Krim, beschaulich und erholsam. Gurzuf ist aber auch ein Zweipersonenorkan aus Belarus, der mit Schlagzeug und Akkordeon über die Bühne stürmt. Der virtuose Akkordeonist Egor Zabelov und sein Drummer aus der Familie der Filigran-metzgerartigen, Artem Zalessky, zelebrieren mit dieser nicht allzu häufig zu findenden Instrumentierung eine ganz eigene Art des Punk – „folkiger Prog-Punk“ könnte das heißen.Das energiegeladene Zusammenspiel der beiden erzeugt einen geradezu hypnotischen Sog, vor allem aber bringt es eine überraschende Erkenntnis: Akkordeon kann richtig sexy sein. Wenn Zabelov ein minutenlanges Crescendo aus seinem Instrument herauspresst und zieht und Zalessky darauf mit der Bassdrum einsteigt, die Snare dazunimmt, langsam das ganze Set einbezieht und sich diese Mischung in einer Explosion voll unbändiger Kraft und Energie entlädt – das hat eine unleugbar erotische Komponente. Sparsam liest sich die Instrumentierung nur auf dem Papier. Doublebass und ein volles Akkordeon erzeugen Klänge, die an Arrangements des klassischen Stadionrocks erinnern, was für die ersten Minuten vielleicht einen kognitiven Konflikt zur Folge hat, weil die Augen nicht ganz glauben wollen, was die Ohren da hören. Da Zabelov sich mit seinem Akkordeon aber wie ein schweinerockiger E-Gitarrist bewegt, geht der Moment vorüber und Bild und Ton werden wieder eins. KRT

■ Gurzuf: 24. 3. 22 Uhr, White Trash (Restaurant), Schönhauser Allee 6