„Das wurde zum Riesengeschäft“

Morgen eröffnet im Hamburgmuseum eine neue Dauerausstellung, die die Auswanderung aus Hamburg im 19. Jahrhundert beleuchtet. Dabei zielt Direktorin Gisela Jaacks weder auf Schuldzuweisungen noch auf Glorifizierung: Sachlich zeigt die Schau, welche Reedereien an dem Boom verdienten

VON PETRA SCHELLEN

taz: Frau Jaacks, räumt Ihre neue Dauerausstellung mit dem Mythos von der „edlen und offenen Auswandererstadt“ auf?

Gisela Jaacks: Nicht explizit. Wir widmen uns vielmehr sachlich der Frage, wie Hamburg mit dem Thema Auswanderung umging: Wer kam warum nach Hamburg? Wie sind diese Menschen hier behandelt worden, während sie auf ihre Abreise warteten. Hier geht es vor allem um die privaten Logisräume, deren Vermieter die Auswanderer oft ausnahmen, sodass die Stadt irgendwann eigene Quartiere einrichtete.

Wie willkommen waren die Auswanderer, mit denen sich Hamburg so gern schmückt, wirklich?

Es gab eine schleichende Ausgrenzung. Will sagen: die Auswanderer wurden – erst am Amerika-Kai und dann in der noch weiter außerhalb gelegenen Ballinstadt auf der Veddel-Insel – immer weiter vom Stadtzentrum entfernt untergebracht.

Warum?

Man wollte sie von der übrigen Bevölkerung fernhalten – einerseits, weil man Seuchen fürchtete. Doch die Entfernung dieser Menschen von der Stadt basierte nicht nur auf praktischen Überlegungen. Man hatte auch Vorurteile – besonders gegenüber den jüdischen Auswanderern aus Osteuropa, die vor Pogromen flohen. Aber auch schon vorher hat man als Hamburger braver Bürger diesen Auswanderern nicht recht getraut. Man hielt die Auswanderer also auch von der übrigen Bevölkerung fern, um die Stimmung nicht anzuheizen.

Die Auswanderer dienten ja auch als Sündenbock – etwa für den Ausbruch der Cholera im Jahr 1892 …

So ist es. Wobei das eigentlich überraschend ist, denn eine Hafenstadt muss immer mit solchen Dingen rechnen. Außerdem befürchteten die Behörden, dass Auswanderer untertauchen und das „Proletariat“ vergrößern könnten, wenn ihr Geld für die Überfahrt nicht reichte. Deshalb wollte man sie zusammenhalten, um sie eventuell wieder abschieben zu können.

Warum wurden die Auswanderer dann überhaupt nach Hamburg geworben?

Nun, mit den Menschen wollte man zwar nicht so gern in Berührung kommen, aber die Auswanderung wurde schnell zum Riesengeschäft – nicht nur für die Logiswirte, sondern auch für die Reedereien. Wir fragen in unserer Ausstellung, welche Reedereien beteiligt waren – wobei wir auch die Auswanderung in andere Länder fokussieren. Nach Mittel- und Südamerika, Australien und Afrika zum Beispiel. Das hängt dann ja auch mit Kolonialisierung zusammen.

Inwiefern?

Nehmen wir Südamerika: Reedereien und Kaufleute erkannten schnell die dortigen Potenziale an Land und Bodenschätzen und suchten dort Kolonien aufzubauen. Also bauten sie Infrastrukturen auf und lockten Auswanderer – Söhne Hamburger Kaufmannsfamilien zum Beispiel – dorthin. Die Kolonie Dona Francisca in Brasilien ist zum Beispiel überwiegend von Hamburgern besiedelt worden.

Die Transportbedingungen auf den Auswandererschiffen waren ja – besonders für die weniger Betuchten – nicht so gut. Thematisiert Ihre Ausstellung das?

Ja. Wir haben ein Schnittmodell, auf dem man die verschiedenen Klassen auf den Schiffen sehen kann. Außerdem haben wir das Zwischendeck eines Seglers nachgestellt, auf dem eine Familie sehr eingepfercht untergebracht ist.

Haben Sie den Eindruck, dass die wenig heroischen Aspekte der Auswanderungsgeschichte in Hamburg genügend zur Kenntnis genommen werden? Etwa seitens der Reedereien?

Das ist schwer allgemein zu beurteilen. Unser Museum versucht jedenfalls nüchtern mit dieser Frage umzugehen – ohne Schuldzuweisungen, aber auch ohne Glorifizierung. Denn es ist eindeutig nachweisbar, welche Reedereien an der Auswanderung intensiv mitgewirkt und verdient haben. Und dass sie die Schiffe entsprechend gebaut haben. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass sie schließlich vom Staat gezwungen wurden, bestimmte Grundvoraussetzungen zu schaffen, weil es unter den Auswanderern auffällig viele Erkrankungen und Todesfälle gegeben hatte.

Ihre Ausstellung zielt aber nicht darauf, den Hamburger Stolz auf den großen Auswandererhafen zu untergraben?

Nicht explizit. Wir hängen ja kein Schild über unsere Exponate, auf dem steht: Hier erfahrt ihr die Wahrheit. Wir wollen sachlich informieren und den mündigen Bürger mit Fakten versorgen, aus denen er seine Schlüsse ziehen kann. Und da wird er natürlich an sehr vielen Stellen unserer Ausstellung darauf gestoßen, dass es in puncto Auswanderung – vorsichtig gesprochen – nicht nur menschenfreundlich zuging.

Die neue Dauerausstellung ist ab morgen im Hamburgmuseum zu sehen.