Gaga-Ulle jetzt in Unterwäsche

In einer halbstündigen Presse-Show gelingt Jan Ullrich vor allem eins: seine eigene Demontage. Statt Erklärungen zu den Doping-Vorwürfen liefert der Exradprofi nur billige Schelte und laue Witze

BERLIN taz ■ Bisher galt Christoph Daum als unangefochtener Meister bizarrer Pressekonferenzen. Den Rang hat ihm Jan Ullrich mit seinem gestrigen Auftritt in einem Hamburger Hotel abgelaufen. Spektakulär war nicht, dass Ullrich seinen Rücktritt erklärte, sondern wie er ihn erklärte: selbstgefällig, plump anklagend und durchaus dreist. So hatte man Ullrich in der Öffentlichkeit noch nicht erlebt. Zum ersten Mal ist er verbal aus dem Sattel gegangen und nicht als der nette, bescheidene Jan aufgetreten, den die Radsportfans Umfragen zufolge noch immer vergöttern, sondern als Gaga-Ulle.

Seine halbstündige Show, die auch im Fernsehen übertragen wurde, dokumentierte die Demontage eines deutschen Radsportidols. Hier wurde ein Held allzu menschlich. Das „Sorgenkind“, „der ewige Zweite“, „das Dickerchen“, kurzum: der gelernte Sympath begab sich in die Niederungen der Stammtischrhetorik und blaffte gegen Journalisten, Radsportfunktionäre und Dopinggegner. Wer erwartet hätte, Ullrich zeige wegen des virulenten Dopingverdachts und der voranschreitenden Ermittlungen gegen ihn so etwas wie Einsicht und Reue, der sah sich getäuscht. Der 33-Jährige hatte sich für das genaue Gegenteil entschieden. Es sollte an diesem Montagmittag ganz billig um Schelte gehen, das war in dem Moment klar, als er die kritische Presse abmahnte: „Einige schwarze Schafe sind hier heute auch nur geduldet.“ Wie nobel, dass sie nicht von Ullrichs Entourage aus dem Saal geschoben wurden.

Das Wörtchen Selbstreflexion hat Ullrich anscheinend aus seinem Vokabular gestrichen, denn er hatte nicht viel mehr über sich und die vermeintliche Blutpanscherei zu sagen, als: schuld sind die anderen, ich bin Opfer einer Kampagne, auch präsentierte er in seiner haspeligen Brandrede nicht ein einziges stichhaltiges Argument. Dieses Projektionsmuster ist in der Radsportszene beliebt, Ullrich bereicherte es um unfreiwillig komisches Beiwerk.

Während seiner Anklage versicherte er sich wiederholt der Aufmerksamkeit von „Schatzi“, seiner Angetrauten, die wie die halbe Familie in Hamburg weilte, lachte sich über einen seiner lauen Witze fast kaputt und versuchte seine Abrechnung mit Gott und der Welt in spöttischem Tonfall zu halten. Das ging gründlich daneben. Heraus kam der Albtraum eines jeden Medienberaters: Der Schützling redet sich um Kopf und Kragen – und merkt es nicht einmal. Was die spanische Fuentes-Affäre nicht geschafft hat, das hat Ullrich mit diesem peinlichen Pressetermin erreicht: Sein Image ist nun rechtschaffen beschädigt. Wer vorher an die Lauterkeit des tüchtigen Radlers glaubte, der sollte nun seine Zweifel haben.

Ullrich war vor Monaten angetreten, die Frankreich-Rundfahrt zum zweiten Mal nach 1997 zu gewinnen und endlich aus dem Schatten von Lance Armstrong zu treten. Jetzt berät er ein drittklassiges österreichisches Radsportteam, darf als „Bionic-Man“ die funktionelle Unterwäsche einer Textilfirma aus der Schweiz testen und ein Wundermittel gegen platte Reifen anpreisen. Das ist nicht weiter schlimm. Tragisch ist allerdings, dass Jan Ullrich sich nicht aus dem Klammergriff einer korrupten Szene hat lösen können. Er hat es wohl endgültig versäumt, offen über Medikamentenmissbrauch und Sportbetrug zu sprechen. Das wird zeitlebens seine bitterste Niederlage bleiben.

MARKUS VÖLKER