West-östliches Dramolett

Wenn der interkulturelle Dialog zu solchen Missverständnissen führt wie bei Rashid al-Daif und Joachim Helfer, dann kann das durchaus unterhaltsam sein. Jedenfalls für die LeserInnen

VON RENÉE ZUCKER

Das Projekt klingt vielversprechend: Erst kommt ein libanesischer Schriftsteller nach Berlin, dann geht ein deutscher Schriftsteller nach Beirut. Und beide sollen danach über ihren Aufenthalt in der Fremde schreiben.

So zumindest der Plan des Austauschprogramms „West-Östlicher Diwan“, das seit einigen Jahren Autoren die Möglichkeit gibt, eine fremde Kultur, vermittelt durch einen Kollegen aus dieser Kultur, kennenzulernen. 2003 trafen sich deshalb in Berlin und Beirut der deutsche Schriftsteller Joachim Helfer, Jahrgang 1964, und der libanesische Autor Rashid al-Daif, geboren 1945.

Herausgekommen ist ein Buch mit dem irreführend komödiantischen Titel „Die Verschwulung der Welt“ und vor allem ein großes Missvergnügen hinter den Kulissen. Die beiden Autoren dieses Buches streiten sich, und zwar mittlerweile so heftig, dass keine Versöhnung in Sicht ist.

Zuerst war da ein Text von Rashid al-Daif, der über Joachim Helfer als eine Art Spezies schrieb, die ihm eher unbekannt ist: den homosexuellen Mann. Al- Daif macht keinen Hehl aus seinen Vorurteilen und ist sich des Klischees „viriler Araber trifft schwulen Europäer“ durchaus bewusst. Chronologisch beschreibt er Begegnungen und Gespräche mit seinem Gegenüber und nimmt die Haltung des unschuldig Fragenden ein. Genau dies nimmt ihm Helfer entweder nicht ab oder übel.

Al-Daifs Text ist auf der Website des Suhrkamp Verlags als Ganzes zu lesen (www.suhrkamp.de/_down load/sons tiges/text_aldaif.pdf). Im Buch wird er von den Einwürfen Helfers unterbrochen. Hier nun liegt der Hase im Pfeffer.

Al-Daif behauptet, zwischen den beiden Autoren sei vereinbart worden, dass jeder „Joachims Story“ aufschreibt: Ein schwuler Berliner Schriftsteller, der mit einem älteren Mann zusammenlebt, kommt nach Beirut. Dort trifft er eine deutsche Frau und zeugt mit ihr willentlich ein Kind. Danach zieht die Frau nach Berlin, der Schriftsteller lebt weiterhin mit seinem Freund zusammen, hat jedoch regelmäßigen Kontakt zu Frau und Kind.

Im B-Plot des Buches wird jedoch für den Leser die Geschichte von zwei Männern erzählt, die sich nicht verstehen. Das kann passieren. Unter Arabern, unter Schwulen, unter wem auch immer. Sich nicht verstehen, sagt man im Deutschen auch, wenn zwei Menschen sich vielleicht in ihrer Struktur so ähnlich sind, dass sie den anderen nicht ertragen können.

Seinen Titel verdankt das Buch einem Zitat von Hubert Fichte, das Helfer als Motto vorangestellt hat: „Ich glaube wirklich an Freiheit. Und Freiheit kann nur Ritenlosigkeit heißen. Ich habe es einmal die ‚Verschwulung‘ der Welt genannt: in einer paradiesisch-feuchten unschuldigen Weise alle diese rituellen Schranken aufzuheben.“

Wenn hier nicht auf schwül-kitschige Weise europäischer Imperialismus gefeiert wird … – dass dies aber sicherlich kein Motto in einer Kultur sein kann, deren Gesellschaft nahezu auf Ritualen aufgebaut ist, dürfte selbst einem Neckermann-Touristen beim Kamelausritt klar sein. Da sind zwei Männer, die sich für Sexualität interessieren, beide scheinen auch laut eigenen Angaben darüber zu schreiben, allerdings ist ihre Sexualität verschieden, und sie beginnen, sich einander zu erklären. Dabei hat Helfer offenbar zu viel Intimes ausgeplaudert, und al-Daif hat es aufgeschrieben.

Dann passiert, was immer passiert, wenn einer über den anderen schreibt. Der andere schreit: Es ist doch alles ganz anders gewesen. Natürlich ist es interessant, wenn sich ein Araber und ein Europäer über Sexualität unterhalten, weil gerade der Umgang hiermit die Unterschiede der Kulturen – oder sollte man nicht doch eher von zeitlicher Ungleichzeitigkeit sprechen? – deutlich macht.

Rashid al-Daif ist immerhin 20 Jahre älter als Joachim Helfer. Während al-Daif in seinem Text jenes Arabien beschreibt, in dem Männlichkeit zelebriert und Homosexualität als abartig abgelehnt wird, besteht Helfer darauf, dass gerade in Beirut alle möglichen Subkulturen, so auch Schwulen- und Lesbenszene, nebeneinander existieren können. Gleichzeitig beschreibt Helfer aber auch die, wie er sie nennt, groteske Übertreibung des Unterschieds von Mann und Frau im Straßenbild von Beirut.

Er erkennt ganz richtig, dass es sich bei dieser Übertreibung – die es übrigens in vielen sogenannten prüden Gesellschaften gibt – darum handelt, die Spannung zwischen den Geschlechtern zu erhöhen. Dagegen wäre ja eigentlich nichts einzuwenden, wenn beide Geschlechter gleich viel von dieser erhöhten Spannung hätten. Doch welcher Genuss für Frauen bei dieser Demonstrationskultur herauskommt, davon haben die beiden Männer, ob schwul oder nicht, eben keine Ahnung.

Interessant wird es, wenn al-Daif wiedergibt, was er von Helfers Beschreibungen des deutschen Umgangs zwischen den Geschlechtern verstanden hat. In Deutschland wähle die Frau sich einen Mann, ohne dass der Mann dabei etwas zu bestimmen habe. Wenn der Mann wählen will, wirft die Frau ihm Unhöflichkeit vor. Hier dürfe nicht der Mann, sondern nur die Frau etwas anbieten, während der Mann schüchtern und brav sein muss und sich anständig zu benehmen habe. Dies sei vergleichbar, so al-Daif, mit der libanesischen Vorstellung, dass eine höfliche Frau, wenn sie irgendwo eingeladen sei, nicht viel essen dürfe, sei sie auch noch so dick und ihr sparsames Zugreifen für niemanden überzeugend. Aber: „Ein Mädchen isst so viel, wie sie gute Erziehung hat“ heißt es eben.

Ein köstliches Missverständnis, wenn man sich auch fast vorstellen kann, wie der deutsche Schwule dem arabischen Hetero seinen Ärger über das Dominanzverhalten seiner Landsmänninnen zu erklären versucht hat. Wie sollte der Araber das verstehen können, ohne die Geschichte der Deutschen zu kennen – von der Trümmerfrau über die Feministin bis zur Karrierefrau? Vielleicht hätten sie über Mütter reden sollen; damit kennt der arabische Mann sich sehr gut aus.

Irgendwie ist es auf beiden Seiten die Beschreibung einer großen Frustration – niemand bekommt so richtig, was er gern hätte. Beide bemühen sich etwas verlogen um den anderen, und beide ärgern sich über das Gegenüber – höflich – und zum Amüsement des Lesers, vor allem der Leserin, auf mittelständischem Niveau.

Joachim Helfer und Rashid al-Daif: „Die Verschwulung der Welt. Rede gegen Rede. Beirut –Berlin“. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, 199 Seiten, 10 Euro