Ökologie ist jetzt wieder absolut total hip

Studie: Immer mehr Bürger begreifen Ausmaße der Umweltzerstörung. Ihr Alltagsleben ändern sie allerdings nicht

Engagement für Umweltschutz bringt neuerdings wieder soziale Anerkennung

BERLIN taz ■ Wer Freunde beeindrucken will, sollte Fleisch mit Biosiegel kaufen. Er könnte auch ein sparsames Hybridauto fahren. „Engagement für Umweltschutz bringt neuerdings wieder soziale Anerkennung“, sagt Udo Kuckartz. Kuckartz ist Sozialwissenschaftler an der Universität Marburg. Im Auftrag der Bundesregierung untersucht er alle zwei Jahre das Umweltbewusstsein der deutschen Bevölkerung. Seit gestern liegt sein neues Ergebnis vor: Demnach gilt Umweltschutz wieder absolut als „in“.

„Das hat es seit langem nicht mehr gegeben“, sagt Kuckartz. Zwischen April und Juli dieses Jahres hatte er 2.000 Deutsche befragt. 93 Prozent von ihnen halten Umweltschutz demnach für „wichtig“. Vor sechs Jahren nach den drängendsten Problemen befragt, wurde Umweltschutz noch auf Rang 4 gewählt. Heute steht er an Platz 2 – hinter der Arbeitslosigkeit.

Für die neue Rangfolge sorge der Klimawandel, sagt der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge: „Die Erderwärmung spürt jetzt fast jeder.“ In die Ostsee drängten gefräßige Quallen aus dem Mittelmeer, die heimische Fische bedrohen. Tropische Juli-Temperaturen ließen den Asphalt von Autobahnen aufweichen. Stromkonzerne müssten ihre Atomkraftwerke abschalten, weil das Kühlwasser zu warm wird. „Zudem“, sagt Troge, „nehmen Allergien seit zehn Jahren zu.“ Mittlerweile gebe es in jedem Bekanntenkreis einen, der wegen Umweltschadstoffen Atemprobleme oder Pusteln bekomme. Der Chef des Umweltbundesamts: „Es geht nicht mehr nur um Heuschnupfen.“

Die Menschen fürchten sich also zunehmend. Das eigene Verhalten ändern sie allerdings trotzdem nicht. Zwar trennen die Deutschen seit Jahren gewissenhaft ihren Müll. Sonst sind sie aber träge Verbraucher. Beispiel Atomausstieg: Zweidrittel der Deutschen plädieren dafür, die AKWs abzuschalten. Doch bislang beziehen nur 5 Prozent der Bürger Ökostrom. Eine Frage des Preises sei das kaum, so Troge. Nur die wenigsten wüssten, wie hoch ihre Stromrechnung eigentlich ausfällt.

Beispiel umweltfreundlicher Verkehr: Die Deutschen fahren immer öfter Auto. Mehr als Zweidrittel der Bevölkerung nutzen Busse oder Bahn nie oder seltener als einmal pro Woche. Und letztes Beispiel: Wohngifte. Immer weniger Einkäufer achten auf den „Blauen Engel“. Heute sind es noch knapp 40 Prozent der Deutschen, vor zwei Jahren waren es noch 50. Das Umweltzeichen prangt zum Beispiel auf Farben und Lacken. Es garantiert, dass aus den Produkten wenige Schadstoffe entweichen.

„Die Bürger delegieren Umweltprobleme an die Politik“, sagt Astrid Klug, parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium. Doch trauen die Deutschen den Parteien beim Umweltschutz nur sehr wenig zu. Am besten schneiden noch die Grünen ab. 12 Prozent der Bürger haben zu ihnen „volles Vertrauen“. Den Unionsparteien sprechen das nur 4 Prozent aus, der SPD gerade mal 2.

Dabei gibt sich SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel jetzt als Vorreiter beim Klimaschutz: „Zu Hause heize ich nur noch mit umweltfreundlichen Holzpellets“, sagte er. Damit wolle Gabriel seine persönliche Kohlendioxid-Bilanz verbessern. Auch das Umweltministerium bezieht Ökostrom. Wie sagte Studien-Autor Udo Kuckartz: „Engagement für Umweltschutz bringt neuerdings wieder soziale Anerkennung.“ HANNA GERSMANN

Studie unter www.bmu.demeinung und diskussion SEITE 11