Schöner Schein

Unzählige Weihnachtsmärkte buhlen mit Glühwein und Geschenkideen, mit Riesenrad und Räuchermännchen um Besucher. Doch welche sind wirklich empfehlenswert? Die taz testet sechs Märkte – jeder hat seine eigene Melodie VON CLAUDIUS PRÖSSER

Musical-Atmo am Gendarmenmarkt

Oh, the weather outside is frightful /

But the fire is so delightful /

And since we’ve no place to go /

Let it snow, let it snow, let it snow

Mögen Sie Musicals? Schauen Sie gerne „Traumschiff“? Sie werden den „WeihnachtsZauber“ lieben. Ein Markt, bei dem von Lichterglanz bis Glühweinduft alles stimmt, ein echter Wohlfühlmarkt vor der hinreißenden Kulisse des Gendarmenmarkts, für den ein Euro Eintritt beileibe nicht zu viel verlangt ist.

Sie ahnen es schon: Der „WeihnachtsZauber“ ist ein Geschöpf aus der Retorte. Die Berlin Tourismus Marketing GmbH betrachtet ihn mit elterlichem Stolz als ihr „Baby“. Sie hatte vor ein paar Jahren die Idee, den „schönsten Platz Berlins“ mit adventlichem Treiben zu füllen – um den Ruhm der Stadt zu mehren und dem Jahresendgeschäft eine Kurbeldrehung zusätzlichen Schwung zu geben.

Und sie können zufrieden sein: Die weiße Zeltstadt zwischen Deutschem und Französischem Dom lockt ein echtes Qualitätspublikum an. Herren in Lodenmänteln begleiten Damen, deren Parfüm sich mit dem Duft gebrannter Mandeln mischt – Qualitätsware, versteht sich. Das Angebot exquisit: feine Teemischungen, geschmackvolle Keramik, handgeschöpftes Briefpapier, Wurzelbürsten, Blechtrommeln, Filzhüte. Die Heizpilze puckern vor sich hin, und über allem thront eine gewaltige Zillertaler Fichte voller Schleifen und Kugeln.

Wem Reibekuchen mit Grünkohl zu volkstümlich ist, der lässt sich in den plüschigen Ecken nieder, die die Galeries Lafayette und diverse Restaurants eingerichtet haben. Bei „Sekt Hausmarke mit Weihnachtslikör“ (6,50 Euro für 0,1 l) in der Lounge des Palace Hotels lauscht man dann vielleicht der 20er-Jahre-Combo, die auf der zentralen Bühne swingt. Klingt elitär? Stimmt genau.

WeihnachtsZauber auf dem Gendarmenmarktbis 31. Dezembertäglich 11–22 Uhr (Fr. & Sa. bis 23 Uhr)Eintritt: 1 €, Kinder bis 12 Jahre frei

Soul-Potpourri am Schlossplatz

Silent night, holy night /

All is calm, all is bright

Mitten auf dem Schlossplatz, im tiefsten Rummel, steht das „Tollhaus“, halb Geisterbahn, halb Labyrinth. Zahlende Besucher müssen sich ihren Weg hindurch zu Fuß bahnen. Man quetscht sich durch rotierende bunte Walzen, erklimmt wackelnde Treppen und trudelt durch eine gewundene Röhre wieder hinaus. So in etwa ist hier der ganze Markt.

Aus der Ferne betrachtet sieht sie nicht mal übel aus, die blinkende Glühbirnen-Skyline vor dem ausgeweideten Palast der Republik – ein kleines Coney Island mit Riesenrad und Achterbahn. Wer freilich die Ellbogen spitzt und sich ins Gedränge wirft, den erwarten die immergleichen sensorischen Zumutungen: wummernde Fahrgeschäfte, schreiende Kinder, flackernde Stroboskope im Trockeneisnebel. Nur anstelle des üblichen Deppentechno kriecht eine Art Weihnachtssoul-Potpourri in den Gehörgang.

Auch gastronomisch betrachtet ist der Schlossplatz-Markt ein Spießrutenlauf für die Sinne: Überall schmurgeln Pilzpfannen, schwitzen Steaks, blubbern Quarkkeulchen im heißen Fett. Ein Stand offeriert den „Gute-Laune-Snack Original Ost-Ketwurst“, aber viele können nicht davon probiert haben: Die meisten Gesichter stehen auf Sturm. Das Publikum trägt Camouflage und raucht Kette. Bei den Verkäufern hinterlässt die deprimiert-aggressive Stimmung Spuren: Schon nachmittags wirken sie müde und abgegessen.

Ganz am Rand, gegenüber vom Berliner Dom, hat man in einer Ecke verschämt ein Krippenspiel platziert – vielleicht um den Bischof gnädig zu stimmen. Das Jesuskind ist eine große Kunststoffpuppe mit Schlafaugen.

Weihnachtsmarkt MitteSchlossplatzbis 23. DezemberMo.–Do. 13–21 Uhr (Fr. & Sa. bis 22 Uhr)

Instrumentalmusik auf der Domäne

Welt ging verloren /

Christ ist geboren /

Freue, freue dich /

o Christenheit!

Eigentlich hört man auf der Dahlemer Domäne gar keine Weihnachtsgesänge – das hiesige Publikum ist akademisch-sensibel und bevorzugt dezente Instrumentalversionen, vorgetragen etwa von einem in Nikolausmäntel gewandeten Hornistenquartett. Dabei ist der rot-weiße Plüsch ein recht isoliertes Zugeständnis an die kommerzielle Weihnacht, wie sie außerhalb der Domäne – oder sagen wir: außerhalb Dahlems – gepflegt wird. Hier ist alles noch echt, einfach und erdverwachsen, ganz wie es sich für ein agrarhistorisches Freilichtmuseum mit Bioland-Betrieb gehört.

Der Domänenmarkt ist gut besucht – dass er nicht vollends überlaufen ist, grenzt an ein Wunder: Wo sonst lässt sich in Berlin so leicht vergessen, dass das urbane Elend nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernt ist. Zwischen Schweinekoben, Hühnerstall und Ziegenpferch wird von der Wachskerze bis zum Filzpantoffel allerlei Nützliches und Natürliches feilgeboten. Mit Bioschmalzstulle, Maroni und Glühwein im Bauch lassen sich glückliche Familien vom Trecker übers kahle Feld kutschieren. Eigentlich zu schön, um wahr zu sein.

Adventsmarkt auf der Domäne DahlemKönigin-Luise-Straße 499./10. und 16./17. Dezember, 11–19 UhrEintritt: 1 (0,50) €

Almgedudel am Potsdamer Platz

Leise rieselt der Schnee /

still und starr ruht der See

Nein, still und starr ruht höchstens die Eisbahn auf dem Marlene-Dietrich- Platz, wo Kreuzberger Jugendliche sich mit Pirouetten zu beeindrucken suchen. Von hier bis zu der künstlichen Rodelbahn am Potsdamer Platz zieht sich eine lange Budenreihe unter rot-weiß gestreiften Dachplanen durch die Alte Potsdamer Straße. Rot-Weiß, das steht für Österreich, die alpenländische Schirmherrin der „Winterwelt“. Vor dem Eingang zum Regionalbahnhof steht denn auch eine „Original Salzburger Schmankerl-Hüttn“, erbaut von „Zimmerleuten aus Österreich“ mit „echtem, 180 Jahre altem österreichischem Hüttenholz“. Weshalb man auch freundlich darüber hinwegsieht, dass die komplette Eventgastronomie am Platz von einem Unternehmen aus 15345 Bruchmühle betrieben wird. Und das liegt schließlich nicht am Steinernen Meer, sondern bei Fredersdorf.

Mal ehrlich: Trotz Almdudler und Jagertee kommt in der Daimler-City weder Hüttnbesinnlichkeit noch Pistengaudi auf. Nicht nur wegen der falschen Ösis und weil das Buden-Sortiment vor dem Portal der Potsdamer Platz Arkaden so belanglos wirkt. Was scheitern muss, ist der forcierte Mix aus Winterweihnachtsidyll und Großstadthektik, der sich an dieser Ecke unweigerlich ergibt. Schneeflöckchen-Gedudel, unterlegt mit Martinshorn – wer tut sich denn so was freiwillig an?

Winterwelt auf dem Potsdamer PlatzRodelbahn „snowed by Skicircus Saalbach Hinterglemm Leogang“: Benutzung mit eigenem „Snowtube“ kostenlos, Leihgebühr pro Abfahrt 1,50 Euro.Eisbahn: Benutzung mit eigenen Schuhen kostenlos, Leihgebühr für anderthalb Stunden: 2,50 Eurobis 26. DezemberSo.–Do. 10–22 UhrFr. & Sa. 10–24 Uhr

Zugbremsen im Hauptbahnhof

Der Regionalexpress / von Stralsund nach Elsterwerda / hat voraussichtlich / 35 Minuten Verspätung.

Eins muss man den Hütern des Hauptbahnhofs lassen: Ihr Weihnachtsmarkt verzichtet konsequent auf musikalische Berieselung. Nur die üblichen Geräusche dringen ans Ohr, quietschende Zugbremsen, Durchsagen, Gesprächsfetzen. Kein „Jingle Bells“, nirgends.

Auch sonst ist das Markttreiben in Sankt Mehdorn minimalistisch: Hier dampft, brutzelt, duftet nichts. 30 Buden aus falschem Holz reihen sich in diskretem Abstand aneinander, wie die Nigiris, die nebenan bei Tokio-Sushi übers Thekenlaufband kreisen. Im Gegensatz zu den Designerhäppchen passen die Holzlöffel und Alpaka-Pullis an den Ständen herzlich wenig zur stählernen Funktionalität des Gebäudes.

Ganz apart wird es abends, wenn die Laufkundschaft spürbar schrumpft und hinter der letzten Bude schon die Wischmaschinen ihre Runden drehen. Dann wird einem recht kalt ums Herz, dann irrt der Blick an den Lichtersternen entlang, die unter der grauen Flachdecke kleben, und verharrt auf einem riesigen Eiszapfen: In der Eingangshalle am Washingtonplatz durfte die österreichische Kristallschmiede Swarovski einen künstlichen Baum errichten, einen monströsen Konus voller Sternlein aus geschliffenem Glas. Scheinwerfer tauchen das Gebilde in kalkweißes Licht und lassen den Klimperkram funkeln. Gut, dass Weihnachten bald vorbei ist.

Weihnachtsmarkt im Hauptbahnhoftäglich 8–22 Uhr