Mehr Lautsprecher wagen!

Keine Demo ohne Geräusch. Wir brauchen den Lauti. Aber wer fährt, repariert und bezahlt die Dinger eigentlich? Zeit für eine Lauti-Ode

„Solidarität vom Fass“ – Veranstaltung zugunsten der Berliner Lautigruppe. Solidarisch trinken und feiern! DJanes sorgen für gute Musik, und wie immer gibt es feine Getränke im Möbel Olfe■ Montag, 18. August

Ab 20 Uhr, Möbel Olfe, Reichenberger Straße 177

Der 2. Mai ist der schönste Tag des Jahres – der schönste Tag zum Demonstrieren jedenfalls. Seit vor 10 Jahren eine Handvoll Berliner Schriftsteller für den 2. Mai den „Internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen“ ausgerufen haben, begehen sie das Ereignis alljährlich mit einer Demonstration entlang der U2 durch Prenzlauer Berg.

Früher führte die Gruppe mit dem schönen Slogan „Wir haben Zeit!“ am Anfang ein Megafon und später eine kleine mobile Beschallungsanlage mit auf ihrem Weg vom Senefelder Platz zu den Schönhauser Allee Arkaden. Inzwischen ist sie, um die Redebeiträge für die anwachsenden Massen (es gab schon mehrfach über 100 Teilnehmende) hörbar zu machen, auf professionelle Hilfe angewiesen – die Berliner Lautigruppe nämlich.

Lautigruppe? Ein Kleinbus mit einer diskotauglichen Anlage, deren Lautsprecher inklusive Generator vom Dach des Autos aus ohne Probleme mehrere hundert Menschen erreicht, dazu eine Menge Engagement und eine Gruppe von Menschen mit guten Verbindung zu sozialen und politischen Bewegungen in der Stadt: Schon hat Berlin einen Lautsprecherwagen, kurz „Lauti“, nur für Demos der sozialen und politischen Bewegung.

„Freiheit statt Angst“, Anti-Atom-Proteste, Flüchtlingsdemos, Kundgebungen zur Gentrifizierung, Proteste gegen den Polizeikongress, Gelöbnix, und nicht zuletzt der 1. Mai … Der 2. Mai aber bleibt der schönste Tag zum Demonstrieren. Die Vorkontrollen der Polizei sind unkompliziert, die Stimmung ist entspannt. Nur jene Teilnehmer, die keuchend den Lauti schieben, fluchen ab und an. Ja, das Auto muss geschoben werden: der Kupplung wegen. Ach, und die Sicherheit der Demonstrierenden darf nicht vergessen werden.

Überhaupt: DemoteilnehmerInnen. Es ist begrüßenswert, zur Verbesserung der Welt, der Freizeit, der Ökobilanz oder was auch immer deutlich sichtbar auf den Straßen ein Zeichen zu setzen, aber nicht nur Lauti-FahrerInnen wissen, dass Fahrräder bei öffentlichen Aufzügen (Critical Mass jetzt mal ausgenommen) nichts zu suchen haben. Es heißt schließlich: „Bildet Ketten!“ – und nicht: Fahrradketten.

Noch schlimmer aber: Hunde vorm Auto. Aus einem guten Meter Höhe verschwindet das Tier aus dem Blick, mindestens eine Vollbremsung pro Demo ist üblich, um die Tiere vor dem Schlimmsten zu bewahren. Dann rummst es hinten gegen die Scheibe und die Schiebecrew flucht noch etwas lauter. Aber: nix passiert zum Glück. Oder doch, einmal, der Fuß eines Polizeibeamten. Das war aber sein Kollege, der im Demostress meinte, dass Auto gegen jeden besseren Rat umlenken zu müssen.

Überhaupt: die Polizei. Wie sie noch vor jeder Schulstreikdemo das Auto nach Waffen durchsuchen muss, aus unerfindlichen Gründen immer wieder noch die Personalien des Beifahrers aufnehmen will und auch schon mal die Fahrerin mit einem Alkoholtest traktiert. Was in den Flaschen sei? Sauberes Wasser. Wozu das denn gebraucht werde, fragt der Beamte, die rechte Hand lässig auf der Pfefferspraydose an seinem Gürtel ruhend. Ja, wozu wohl?

Es ist natürlich nicht alles schlecht. Es gibt auch freundliche VertreterInnen der Versammlungsbehörde, die ihren Job ernst nehmen: die Unterstützung der BürgerInnen bei der Wahrnehmung ihres verfassungsmäßigen Rechts, Aufzüge unter freiem Himmel durchzuführen. Doch schon Billy Ocean wusste: „When the going get’s tough the tough get going“. Und dann geht die Fahrt durch Berlin, umringt von Transpis, Sprechchöre überall, am Straßenrand Polizeispalier in Riotgear, angespannte Stimmung und niemand weiß, was als Nächstes passieren wird. Nerven aus Stahl braucht es hier nicht unbedingt, aber man muss das schon wollen. In diesem Auto sitzen, das im Sommer einer Sauna ähnelt, nur ohne die Entspannung.

Im Winter wird es unerträglich kalt, die Füße vor allem. Ein Vorgängerauto hatte Standheizung. Der Schiebecrew aber wird wenigstens ordentlich warm. Alles für die gute Sache. Oder eher: gute Sachen.Die Themenbreite der gefahrenen Demos ist sehr groß. Die Lautigruppe ist dabei, wenn zwei Mitglieder bereit sind, sich für das Projekt hinters Steuer zu setzen. Angemeldet muss die Demo sein, die Veranstalter helfen bei Auf- und Abbau der Anlage (20-Kilo-Boxen aufs Dach!) und geben eine Spende für Sprit und Reparaturen.

Der Bus kommt so zu Demos gegen Nazis in Lichtenberg, für Flüchtlinge in Grünau, gegen Zwangsräumungen und für einen Kieztreff. Gleißende Sonne, strömender Regen, Schneegestöber – alles kein Problem. Und dann ist da ja noch der 2. Mai, der schönste Tag im Jahr. Der schönste zum Demonstrieren jedenfalls. Gegen den Arbeitszwang, für mehr Freizeit. Das ist doch mal ein Ziel.

TADZIO EHRENFELDT

*Name geändert, der Autor ist früher Lauti gefahren