Merkwürdige Mischwesen

THEATERFESTIVAL Der „Rückzug ins Öffentliche“ ist das Thema des Theater-, Performance- und Live-Art-Festivals „Freischwimmer“. Zu Gast ist dabei auch der libysche Despot und Raketenauto-Designer Gaddafi: als Puppe

Auf der Bühne stehen bei „King of the Kings“ nicht nur ungewöhnliche PuppenspielerInnen, sondern auch veritable Gadaffi-ExpertInnen

VON ROBERT MATTHIES

Dass ihr Stück just zum Zeitpunkt seiner Premiere einen so aktuellen Bezug bekommen würde, haben die beiden „Lovefuckers“ Anna Menzel und Ivana Sajević nicht gedacht, als sie vor mehr als einem Jahr beschlossen haben, den selbst ernannten libyschen „Revolutionsführer“ und „König der Könige“ Muammar al-Gaddafi zum Protagonisten ihres nächsten Stückes zu machen. Denn nicht eine prophetische Gabe hat die beiden Puppenspielerinnen von der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ damals angetrieben, sondern lediglich ein geteiltes Interesse – an menschlichen Abgründen: Schon in ihrer ersten Produktion „Pieps! Du kleiner Vogel!“ trieben gruselige Selbstinszenierer ihr Unwesen: in der „Musik-Trash-Show“ mit Puppen drehte sich alles um Serienmörder und „dead chicks“.

In seinem Puppen-Politthriller nebst Videoclips „King of Kings“ bemächtigt sich das „Lovefuckers“-Team nun also der bizarren Inszenierungskunst jenes brutalen Despoten, mittelmäßigen Dichters und exzentrischen Raketenauto-Designers, der plötzlich mit dem Ende seiner über 40-jährigen Herrschaft rechnen muss. Im Zentrum steht der widersprüchliche Öl-Milliardär dabei als außergewöhnlich begabter Performancekünstler. Dass ihr Protagonist eine Puppe ist, ist für Sajević und ihre MitstreiterInnen deshalb ein großer Bonus: Erst die Verfremdung nämlich ermögliche überhaupt die Annäherung an die Figur Gaddafi, sagt Sajević – nur so könne man sie mit all ihren Facetten und all ihren Widersprüchen zeigen. Dabei darf man gespannt sein, wie sich das Stück vor dem Hintergrund des libyschen Bürgerkrieges und der alliierten Militär-Intervention bis Dienstag noch verändern wird. Denn auf der Bühne stehen dann nicht nur ungewöhnliche PuppenspielerInnen, sondern auch veritable Gadaffi-ExpertInnen – die sich seit Beginn der Revolution gegenseitig permanent intensiv geupdatet haben.

Zu sehen ist das ungewollt brandaktuelle Stück im Rahmen des Theater-, Performance- und Live-Art-Festivals „Freischwimmer“, das ab morgen bis zum nächsten Samstag auf Kampnagel gastiert. Das tourt derzeit mit insgesamt sieben internationalen Produktionen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz: Premiere haben die Stücke Anfang des Monats in den Berliner Sophiensaelen gehabt, Anfang April sind sie im Wiener brut zu sehen, im Mai geht es dann nach Zürich in die Gessnerallee. Seit 2004 bietet das Festival jungen Performance- und Theaterprojekten eine Plattform, ihre neuen Produktionen einem größeren Publikum zu präsentieren.

Gemeinsames Thema aller Stücke ist dieses Jahr der allgemeine „Rückzug ins Öffentliche“ – und im Besonderen die digitale Verflüssigung der Grenze zwischen dem heimischem Sofa und der großen, weiten Welt. Dass auch noch ganz andere Grenzen schon lange fragwürdig geworden sind, macht dabei der Hamburger Beitrag deutlich: Das „Institut für Hybridforschung“ um die Regisseurin und Performance-Künstlerin Corinna Korth hat sich zum Ziel gesetzt, die Akzeptanz so genannter Mischwesen zu steigern, und sich mit „Furry Species“ beschäftigt. Im performativen Fokus stehen dabei eine ganze Reihe von nicht-menschlichen AkteurInnen und ihre vielfältigen Beziehungen zur menschlichen Gesellschaft. „Tier ist das neue queer!“, lautet die Devise, präsentiert werden morgen Abend erste Ergebnisse einer Erforschung neuer Möglichkeiten der Tierwerdung: Eine Klientin des Instituts etwa hat die einzelnen Schritte einer operativen Verwandlung zum Raubtier dokumentiert und will ihre Erfahrungen in einer theatralen Symbiose aus Forschung und Entertainment erlebbar machen.

■ Fr, 25. 3. bis Sa, 2. 4., Kampnagel, Jarrestraße 20; Programm und Infos: www.freischwimmer-festival.com