Rosen für die Toten, Glückwünsche für Ailish

BERNAUER STRASSE Junge Touristen in Rockstarposen, Menschen auf der Suche nach Spuren der deutschen Vergangenheit: ein Besuch am zentralen Mauer-Gedenkort Berlins am 53. Jahrestag des Mauerbaus

„Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie so etwas gebaut werden konnte“

PATRICIA RÜLKE, BERLINBESUCHERIN

„Happy Birthday Ailish“ hat jemand in Rot auf die Mauer gesprüht, neben ein Anarchisten-A im Kreis. Zwei Punk-angehauchte junge Nordamerikaner lassen sich, mit bösem Blick und aufgerichtetem Mittelfinger, davor fotografieren. Einige Meter weiter verewigen sich zwei Südkoreaner mit einem Farbstift an der Wand. Dafür ließ die DDR die Mauer vor 53 Jahren nicht errichten – und dafür sind ihre wenigen verbliebenen Reste hier an der Bernauer Straße, so sagen manche, auch heute nicht gedacht. Doch für junge Touristen spielt das selten eine Rolle. Für sie ist der Gedenkort eine tolle Kulisse, ein Bild davor eines der wichtigsten Souvenirs aus Berlin. Auch am Mittwoch, dem 53. Jahrestag des Mauerbaus, herrscht hier business as usual.

Für Patricia Rülke ist der Parcours aus Erinnerungsstücken und grünem Gras am Nordbahnhof mehr. „Komisch“ fühle sie sich hier, sagt die Berlinbesucherin aus einem Dorf bei Minden in Westfalen, „unwohl“, eine Art Druck spüre sie. Es fällt ihr schwer, ihr Empfinden in Worte zu fassen. Vielleicht liegt es daran, dass sie „nicht mehr nachvollziehen kann, wie so etwas“ – sie blickt auf die Mauerfragmente – „gebaut werden konnte“. Gleichzeitig werde ihr hier bewusst, wie Menschen 28 Jahre lang eingesperrt wurden.

Und dann erinnert sie sich an die Berichte ihres Exmannes, der über Ungarn aus der DDR geflohen war, und an den Tag des Mauerfalls, den sie nie vergessen werde – auch wenn sie zu jung gewesen sei, um zu verstehen, was damals passierte. Kurz darauf steht Patricia Rülke vor der Gedenktafel mit den Fächern für jeden Mauertoten, in jedem liegt eine frische weiße Rose. Erst da wird ihr bewusst, dass heute Jahrestag des Mauerbaus ist.

An der Bernauer Ecke Ackerstraße ist das nicht zu übersehen: Mehr als 20 Kränze liegen seit dem Morgen vor der rostigen Metallmauer, einer schön neben dem anderen. Ganz vorne der der Kanzlerin, es folgen Blumen des Regierenden Bürgermeisters, der Piraten-Fraktion, sogar ein seltenes Lebenszeichen des FDP-Landesverbandes findet sich. Business as usual, auch was politische Rituale angeht.

Paul und Paul, beide 16, beide aus Frankfurt am Main, beide mit ihren Eltern in der Stadt, stehen neben den Kränzen und schütteln den Kopf. Nein, er könne sich nicht mehr vorstellen, dass ein ganzes Land eingemauert sei, sagt Paul 1. Und Paul 2 ergänzt: Ihm sei jetzt zwar klar, wie hoch die Mauer wirklich war – auf Bildern könne man das nur schwer erkennen. Aber für sie beide ist dieser Teil der deutschen Geschichte weit weg.

Im Gästebuch der Kapelle der Versöhnung, die Bernauer ein Stück hinauf, ist die Vergangenheit präsent. Viele Besucher hinterlassen an diesem Tag persönliche Einträge. Jedes Jahr am 13. August sei er hier, schreibt ein Mann. Und fügt hinzu: „Immer bedrückend.“ BERT SCHULZ