Airbus spart den Norden aus

Die Zentrale in Hamburg verliert etwa 1.000 Arbeitsplätze, die Werke Nordenham und Varel werden verkauft: Die Grundzüge des Sanierungsprogramms „Power 08“ von Airbus sickerten bereits durch. Heute Nachmittag soll es offiziell vorgestellt werden

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Ab heute wird mit Macht gespart. In den norddeutschen Werken des Flugzeugbauers Airbus sollen etwa 3.500 Arbeitsplätze wegfallen, die Standorte Varel und Nordenham sollen verkauft werden. So steht es nach ersten Informationen im Sanierungsprogramm „Power 08“, welches der Verwaltungsrat des Mutterkonzerns EADS am Montagabend beschlossen hat. Die Details will Airbus-Chef Louis Gallois heute in Toulouse den Betriebsräten aller europäischen Werke mitteilen und anschließend auf einer Pressekonferenz veröffentlichen.

Vorgesehen ist zudem, so munkeln gut unterrichtete Kreise, dass die Teilmontage des doppelstöckigen Prestigefliegers A 380 wie vorgesehen in der deutschen Airbus-Zentrale Hamburg-Finkenwerder erhalten bleibt. Auch der Bau des geplanten Auslieferungszentrums für Kunden aus Europa und dem Nahen Osten soll nun beschlossene Sache sein. Von dieser Entscheidung ist die Rechtmäßigkeit der Werkserweiterung abhängig.

Die erneute Verlängerung der Start- und Landebahn bis in das angrenzende Obstbauerndorf Neuenfelde hinein sei nur dann statthaft, wenn die teilweise Auslieferung des A 380 und der geplanten Frachtversion tatsächlich stattfindet, hatten Gerichte nach Klagen von Anwohnern und Naturschützern geurteilt.

Zudem soll das Werk an der Elbe künftig einziger Produktionsort für die kleineren Maschinen des Konzerns werden. Die nächste Generation des Mittelstreckenjets A 320 soll nicht mehr in Toulouse, sondern in Hamburg gefertigt werden. Damit würde Finkenwerder zum Zentrum aller so genannten Single-Aisle-Modelle. Alle anderen kleineren Maschinen mit nur einem Mittelgang werden bereits in der Hansestadt hergestellt (siehe Kasten).

Außerdem soll der EADS-Verwaltungsrat, das höchste Organ des deutsch-französischen Luft- und Raumfahrtkonzerns, beschlossen haben, auch den A 350 teilweise in Deutschland zu produzieren. Das projektierte Mittelstreckenflugzeug werde zwar im französischen Zentralwerk Toulouse montiert, Rumpfsegmente jedoch würden in Deutschland hergestellt.

Damit käme die Kohlefaser-Technologie nach Deutschland. Der neuartige Verbundwerkstoff für den Rumpf des A 350 soll den Baustoff Metall ablösen. Er macht Flugzeuge deutlich leichter und auch ökonomischer, weil der Kerosinverbrauch gesenkt wird. Deshalb gilt die Kohlefaser als Schlüsseltechnologie der Zukunft, deren Beherrschung auch für den Bau künftiger Airbus-Modelle entscheidend ist.

Die Einzelheiten, die bislang durchsickerten, enthalten allerdings noch Widersprüche. So ist angeblich vorgesehen, die rund 12.000 Arbeitsplätze in Finkenwerder um etwa 1.000 zu reduzieren, die Gesamtzahl der abzubauenden Jobs soll bei 3.500 liegen. Diese Zahl entspricht jedoch allein dem Personalbestand der beiden Werke Nordenham und Varel in Niedersachsen, die verkauft werden sollen. Eine Klärung dieser Diskrepanz ist wohl erst auf der Pressekonferenz von Gallois heute Nachmittag zu erwarten. Dann dürfte auch bekannt werden, ob und welche Maßnahmen auf die drei weiteren norddeutschen Werke Bremen, Stade und Buxtehude zukommen.

Offen ist bislang auch, welche Konsequenzen die Ausgliederung aus dem Konzern für Varel und Nordenham haben wird. Angebliche Interessenten wie der Nürnberger Luftfahrtzulieferer Diehl Aerospace hatten vorige Woche noch Kaufabsichten dementiert. Falls EADS ein Angebot unterbreite, werde man dies aber „selbstverständlich prüfen“, sagte ein Firmensprecher.

Nordenhams Bürgermeister Georg Raffetseder sieht bei einer Schließung des Werks die Existenz der Kleinstadt gefährdet. Dort arbeitet rund jeder Zehnte bei Airbus. „Käme es zum Äußersten, könnten wir das nicht kompensieren“, sagte Raffetseder. Aber auch ein Verkauf wäre für ihn „ein Tod auf Raten. Dadurch würden wir von der technologischen Entwicklung abgekoppelt“, befürchtet der Bürgermeister.

Der mögliche Verkauf der Airbus-Werke in Varel und auch im nahen Nordenham bedroht eine besonders strukturschwache Region im Nordwesten Niedersachsens. „Es ist, als würde uns ein Stück aus dem Herzen gerissen“, sagt Varels Bürgermeister Gerd-Christian Wagner. Seit 70 Jahren ist der Flugzeugbau in der Region ein beherrschender Wirtschaftszweig. Ansonsten gibt es in der flachen Marschenlandschaft zwischen Weser und Jadebusen nur wenig Industrie.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) befürchtet den Verkauf der beiden Airbus-Standorte Varel und Nordenham. Er forderte gestern „Fairness“ nicht nur hinsichtlich der Arbeitsplätze und Modelle, sondern auch der Kompetenzen. Die Werke in Buxtehude und Varel seien bei der Entwicklung von Werkstoffen „hoch kompetent“. Angesichts des dortigen Know-hows habe ein Verkauf aus seiner Sicht „keinen Sinn“. Wulff bot Airbus deshalb erneut an, das Unternehmen mit allen im Rahmen der EU zulässigen Hilfen zu unterstützen.

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