Pasadena, schau auf diese Stadt!

Berlin könnte sein Kreativpotenzial besser nutzen, finden Designstudenten aus Kalifornien, die Investoren die Stadt schmackhaft machen wollen. Ihre klärend-naiven Ideen dazu sind jetzt zu begutachten bei Redesign Deutschland

13 junge Designstudenten aus Amerika werden nach Berlin geschickt. Für ein Semester. Sie sollen sich die Stadt vornehmen, das kulturelle Potenzial untersuchen – Clubbetreiber, andere junge Designer, Ladenbesitzer und Forscher von DaimlerChrysler interviewen. Ein bisschen mit der Community flirten also. Später sollen sie ihre Ergebnisse als Designprojekt visualisieren. Arbeitsthese: Berlin könnte sein Kreativpotenzial besser nutzen und interessanter gemacht werden für Investoren.

Die Studenten aus L. A. werden also rund um Berlins Mitte verstaut und entwickeln Modelle. Zum Beispiel die 720-Grad-Methode. Diese verlangt, sich eine Sache – in diesem Fall Berlin – von vorn und hinten und unten und oben anzuschauen. Dass das einen Versuch wert ist, dachten sich auch Sponsoren. Denn die, so der Projektleiter, seien sofort Feuer und Flamme gewesen für ein Projekt, das den unscharfen Blick auf den Hype Berlin schärfen und in einer Sprache, die aus der Stadt kommt, direkt die Investoren ansprechen soll. MTV, das Goethe-Institut, Lufthansa und DaimlerChrysler schlossen sich zusammen, den Forschern eine gute Zeit zu machen. Die Ergebnisse dieser Zeit werden jetzt im Büro von „Redesign Deutschland“ ausgestellt.

Student William erzählt mit strahlenden Augen von seinem Zimmer, das so groß wie eine ganze Galerie sei. Warum auch nicht. Der Ärger mit dem Geld verstellt uns oft genug die Sicht auf die schlichten und wunderbaren Dinge.

„Als wir nach Berlin kamen, ist uns aufgefallen, dass es viele gutausgebildete Menschen gibt, die gar nicht arbeiten. Also haben wir einen Tisch aufgebaut, der verbildlicht, wie sich die Zahl von Studierenden stetig erhöht, während die Beschäftigungszahlen schrumpfen. Wir wollen zeigen, dass es viel Arbeitskraft in Berlin gibt, die nicht genutzt wird – mit einer Dinnerparty der Produktivkräfte.“ Der Tisch, auf den sein Schöpfer deutet, ist aufgeräumt und gedeckt mit Tellern, auf denen korrekte Zahlen, gewinnversprechende Informationen und streng aufgelistete Investitionsmöglichkeiten liegen. Er unterscheidet sich von dem bunten Zeichenraum, als den die anderen Studenten Berlin wahrgenommen haben. Der Videoclip „Freedom:Space“ spielt mit Bildern aus den Feldern des Nachtlebens, Clubbings und der Fortbewegung und funktioniert im Grunde als Imagefilmchen, das den Hype nicht erklärt, sondern mitträgt. Das Projekt muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass hier Elitestudenten ein paar Wochen lukrativ stipendiert durch Berlin schwoften und am Ende ein Bild malten, das protokolliert: In Prenzlauer Berg ist es recht grün, es gibt viel Street Art an den Wänden und, ja, auch viele junge Familien. Was für Berliner simple Alltäglichkeit ist, gibt Außenstehenden aber einen schön gestalteten Einblick. Zum Glück hat die Projektgruppe ihre Ergebnisschau als Wanderausstellung konzipiert. Wenn in L. A. jemand vor einem Wandbild steht, das die Vernetzung aus junger Mode und Markt erklärt, ist er hinterher sicher schlauer.

Die Taktik der frischen Augen könnte aber auch jeder reguläre Berliner zum Anlass nehmen, sich an eine altbewährte Kulturtechnik zu erinnern. Was so knackig mediensprachlich als „720-Grad-Methode“ daherkommt, ist ja nichts anderes als angewandtes Flanieren. Es propagiert einen Blick, der nichts will, der naiv und unverstellt der Stadt begegnet und sich nicht von Querverweisen und Szenewissen irritieren lässt. Dieser Blick der Studenten ist somit auch ein klärender.

Tritt man aus der Galerie wieder nach draußen, auf das Pflaster der wirklichen Stadt, ist es ein bisschen, als wäre man im Urlaub an der Ostsee gewesen. Der Blick aufs Meer hat die Augen ein bisschen gelöst. Man erkennt die Umrisse und Grundpfeiler der Stadt wieder. Das Meer ist hier ein schnell geschnittener und bunt animierter Clip.

Raphael Horzon, Mitinitiator des zur Galerie umfunktionierten Büros mit dem herrlich passenden Namen „Redesign Deutschland“, erklärt mit ernster Miene den Sinn des Projekts. Der liegt wohl vor allem darin, die jungen Amerikaner zu unterstützen. Wir stehen draußen zwischen Heizpilzen, die wahrscheinlich von der Lufthansa gesponsert sind und einem so heiß werden lassen wie unter der Sonne Pasadenas. Drinnen beschreibt die Direktorin der Art School nochmals den uramerikanischen Ansatz des investigativen Kategorisierens und die Superhaftigkeit ihrer Universität.

Die schönste Herbstmilde streift die Stadt, auch ohne Heizpilze ist es so herrlich warm, und die faulenden Blätter machen einen sanften Geruch um die Nase. Investoren werden wohl auch nach diesem Forschungsprojekt nicht kommen, sicher aber noch ein paar von den charmanten Gentrifizier-Designstudenten.TIMO FELDHAUS

„Fresh Eyes Berlin – Exposed Capital. Eine Wanderausstellung zur Dynamik Berlins als Kreatives Zentrum“, Eröffnung heute, 19 Uhr. Bis 9. 12., Redesign Deutschland, Torstr. 94