Polizei-Eskorte für Malewitsch

Es revolutionierte die Kunst, aber der sowjetische Sozialismus schätzte es nicht: Kasimir Malewitsch’ Gemälde „Das schwarze Quadrat“, inzwischen Nationalheiligtum, wird ab Ende März in der Hamburger Kunsthalle gezeigt. Doch wie kommt ein so berühmtes Bild überhaupt nach Deutschland?

VON PETRA SCHELLEN

Es gilt als Ikone der russischen Kunst, obwohl es natürlich keine ist: Kasimir Malewitsch’ „Schwarzes Quadrat“, das ab Mitte März in der Hamburger Kunsthalle gezeigt wird, ist von der christlichen Ikone bloß abgeleitet. 1915 hat der Künstler die geometrische Form gemalt, die in der Kunst eine mittlere Revolution auslöste. Den Verzicht auf Gegenständlichkeit und Farbe zugunsten der reinen Form – kurz: den Beginn der „suprematistischen“ Abstraktion – illustrierte Malewitsch mit dem Gemälde, das vom kommunistischen Regime lange gering geschätzt wurde: Das Bild galt als formalistisch und für das Proletariat unverständlich. Bis zur Perestroika hing es allenfalls in dunkeln Ecken der Museen. Wenn es denn überhaupt gezeigt wurde.

Seit Ende der achtziger Jahre ist das anders: Zum international begehrten Ausstellungs- und Ausleih-Objekt ist das „Schwarze Quadrat“ seither geworden. Wobei von Vorteil ist, dass Malewitsch vier Versionen des Werkes schuf. Die erste malte er 1915 über eine andere, noch nicht ganz getrocknete Komposition, sodass die schwarze Farbe bereits Risse zeigt. „Es ist in sehr schlechtem Zustand, sodass wir für unsere Schau ,Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch’ die Version von 1923 angefragt haben. Sie hängt im Russischen Museum in St. Petersburg“, sagt Felix Krämer, Projektleiter in der Hamburger Kunsthalle.

Doch wie bekommt man ein so berühmtes Gemälde nach Deutschland? Genügt es, wie sonst unter Ausstellungsmachern üblich, eine schriftliche Anfrage zu stellen, damit das Werk auf Reisen geht? „Keineswegs“, sagt Krämer. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit russischen Museen seien hierfür gute persönliche Kontakte nötig. Und die habe der Hamburger Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner. Seit Mitte der 80er Jahre hat er immer wieder Ausstellungen russischer Kunst kuratiert. Auch für die Hamburger Schau ist er mehrfach nach Russland gefahren, um neben dem „Schwarzen“ und „Roten“ Quadrat, dem „Schwarzen Kreis“ und dem „Schwarzen Kreuz“ 16 weitere Werke russischer Künstler anzufragen. „Ohne diese persönlichen Kontakte hätten wir diese Werke niemals bekommen“, sagt Krämer.

Doch das ist nicht die einzige Hürde. Mindestens so schwer wiegen die Bedingungen der Leihgeber: Nicht nur, dass die Bilder – pro Stück rund 20 Millionen Euro wert – extrem hoch versichert werden müssen; ein Posten, der nur durch eine Bürgschaft der Stadt Hamburg abzufangen war.

Auch fordern die russischen Behörden für jedes der ausgeführten Bilder eine Rückgabegarantie. „Glücklicherweise hat Deutschland seit 1999 ein Gesetz, dass die Rückführung der Bilder auch für den Fall garantiert, dass während der Ausleihzeit Ansprüche geltend gemacht werden“, erklärt Krämer. Er räumt ein, dass der Leihverkehr mit Russland vorbelastet ist. Allerdings aus gutem Grund: In der Schweiz hatte es vor einigen Jahren einen Fall von Rückforderungen aus Russland geliehener Bilder gegeben, dem die Gerichte auf lokaler Ebene stattgegeben hatten. Später wurde der Beschluss gekippt, „aber der Schreck sitzt tief“, sagt Krämer. Daher sei man in Russland diesbezüglich sensibilisiert. Eine für 2006 in Liechtenstein geplante Ausstellung etwa musste kurzfristig abgesagt werden: Liechtenstein hat ein entsprechendes, die Rückgabe garantierendes Gesetz nicht.

Sind die Leihverträge aber geschlossen, folgt der praktische Teil: In großen Speditions-LKWs werden die Malewitsch-Gemälde in den nächsten Wochen von Russland nach Hamburg transportiert. Die Begleitung: eine Polizeieskorte sowie drei Kuriere – Wissenschaftler aus den zuständigen Museen. Der Konvoi wird zunächst bis zur finnischen Grenze, dann in Helsinki auf die Fähre nach Lübeck und weiter nach Hamburg fahren.

Eine rund 40-stündige Reise, für die die Bilder, wie im Kunstbetrieb üblich, in eigens gefertigten Klimakisten gelagert werden. Stabile Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnisse, die denen im Museum gleichen, herrschen darin. „Denn wenn es zu warm wird, fangen Rahmen und Leinwände an zu arbeiten“, sagt Krämer. Auch gegen Erschütterungen werden die Gemälde bestmöglich gesichert – in so genannten Antischock-Kisten, die wie Stoßdämpfer wirken.

Ein bisschen leiden die Bilder auf solchen Transporten natürlich immer. Aber das hält die russischen Museen nicht davon ab, Malewitsch’ „Schwarzes Quadrat“ immer wieder zu verleihen. „Das Gemälde ist schon ein Nationalheiligtum“, sagt Projektleiter Krämer. „Malewitsch ist im internationalen Ausstellungsbetrieb extrem beliebt. Und Russland ist natürlich stolz auf diese Bilder, die für die Kunst inner- und außerhalb Russlands so wegweisend waren.“ Kein sozialistischer Restzweifel also an den abstrakten Gemälden, die das genaue Gegenteil des sozialistischen Realismus waren? „Soweit ich weiß, nicht“, sagt Krämer. „Denn Russland ist sehr froh, diese besonderen Bilder zu haben, die für den Aufbruch in die Moderne stehen. Das Land will ja auch in anderer Hinsicht international dazugehören und modern sein. Und dafür ist ein Bild wie das ,Schwarze Quadrat‘ ein starkes Symbol.“

Die Ausstellung „Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch“, die auch Gregor Schneiders „Cube Hamburg 2007“ präsentieren wird, ist ab 23. 3. in der Hamburger Kunsthalle zu sehen