KULTUR UND IRRTÜMER
: Sissi in Berlin

Der Brüllende lässt nicht nach. „Es ist Ramadan“, schreit er

Wenn man abends nach Hause kommt und den Mitbewohner mit Freunden und Jägermeister auf dem Balkon vorfindet, sollte man sich aus dem Staub machen, wenn einem ein klarer Kopf lieb ist. Aber es ist ein schöner Sommerabend, also setze ich mich dazu, verweigere den Schnaps, und unterhalte mich mit den drei angeheiterten Jungs.

„Saskia kommt aus Wien“, sagt mein Mitbewohner zu seinem Freund T., der daraufhin entzückt „Sissi“ ruft. Mir wird erklärt, dass T. aus Bayern kommt. „Aha“, sage ich und versuche zu lächeln. Als Wienerin werden mir oft Leute vorgestellt, weil sie „auch Österreicher“ oder Bayern sind. Und dann soll ich mich freuen. Ich habe es versucht. Wirklich. Meine Begeisterung für beliebige Herkunftsorte in regionaler Nähe zu meiner Heimatstadt hält sich aber eher in Grenzen. Was haben wir denn gemeinsam – ich, die Bayern und die „Auch-Österreicher“ in Berlin? Nichts. Aber man erwartet wohl, dass wir im Dialekt von Bergen, Schnitzel und Schmalzbroten schwärmen, als gäbe es kein Morgen. Zwar gut gemeint, aber ein kultureller Irrtum.

Als ich später dösend im Bett liege, werde ich von jemandem geweckt, der auf der Straße brüllt: „Du trinkst Alkohol im Ramadan?“ Er wiederholt das einige Male, bis ich hellwach bin. Vom Balkon aus sehe ich zwei taumelnde Gestalten, der eine hält den anderen, den brüllenden, zurück. Vor ihnen stehen zwei Jungs, etwa Mitte zwanzig. Der eine versucht mit Handbewegungen zu beschwichtigen und ruft auf Englisch: „Nein, ich bin aus Tel Aviv, ich bin Jude.“ Aber der Brüllende lässt nicht nach. „Es ist Ramadan“, schreit er wieder. Er und sein ihn haltender Freund taumeln gegen ein Auto, Schaulustige rundherum. Irgendwann kommen einige Polizisten angelaufen und fixieren den Brüllenden auf dem Boden. Er entschuldigt sich plötzlich sehr freundlich. Wieder ein kultureller Irrtum. SASKIA HÖDL