Job ja, Bleiberecht nein

Bleiberechtskompromiss verschafft nur wenigen einen sicheren Aufenthaltsstatus. Flüchtlinge finden Regelung unzureichend, Niedersachsens Innenminister sieht keinen Nachbesserungsbedarf

VON REIMAR PAUL

Dass Nusret Kaciran gut integriert ist, bezweifelt niemand. Der 51-jährige Kurde aus der Türkei lebt mit seiner Frau seit 17 Jahren in der Bundesrepublik. Vier der fünf Kinder des Paares wurden hier geboren, besuchen in Göttingen Schule oder Kindergarten. Als sich die deutschen Innenminister im November auf ein Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge einigten, war Kaciran voller Hoffnung: Mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag in der Hand marschierte er zur Göttinger Ausländerbehörde. Eine Aufenthaltserlaubnis erhielt er nicht.

„Zuerst hieß es, ich würde mit der angebotenen Arbeit 200 Euro zu wenig verdienen, um meine Familie ernähren zu können“, erzählt Kaciran. Doch auch das Angebot für einen Zweitjob in einem Imbiss brachte Kaciran nicht das ersehnte Bleiberecht und ein Ende der kurzfristigen Duldungen: „Die prüfen und prüfen. Wenn ich dem Arbeitgeber nicht bald zusage, stellt der jemand anderen ein und der Job ist weg.“

Nach jahrelangem Streit hatten sich die Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern im November auf eine vorläufige Lösung beim Bleiberecht verständigt. Danach können Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sie mindestens acht Jahre in Deutschland leben und ihren Unterhalt selbst verdienen – bis Ende September haben sie Zeit zur Jobsuche. Bei Familien mit schulpflichtigen Kindern ist ein Aufenthalt von sechs Jahren Voraussetzung.

In der Praxis läuft die Regelung ins Leere, kritisieren Flüchtlingsberater. In der Stadt und im Kreis Göttingen haben bisher nur acht von rund 1.200 Geduldeten ein Bleiberecht erhalten. 69 von 20.000 bekamen bis zur vergangenen Woche in ganz Niedersachsen eine Aufenthaltserlaubnis, 27 von 3.500 waren es in Bremen. Andere Städte und Bundesländer melden ähnlich niedrige Quoten.

„Das Arbeitsamt und die Ausländerbehörde haben in den letzten Jahren systematisch verhindert, dass wir eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz bekommen konnten“, kritisiert das „Roma Centar“ in Göttingen. Der Besuch von Sprachkursen, die eine Jobsuche erleichtert hätte, sei verweigert worden. Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat sieht noch weitere Hürden: Viele geduldete Flüchtlinge verfügten gar nicht über die verlangten Pässe oder Ersatzpapiere: „Die Menschen haben oft Hals über Kopf das Land verlassen.“ Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien bekämen von keinem der Nachfolgestaaten einen Ausweis – „und ohne Pass gibt’s keine Arbeitserlaubnis und ohne Arbeitserlaubnis kein Bleiberecht“, sagt Weber.

Aber selbst wer Arbeitsplatz und Pass vorlegen kann, scheitert nach Angaben des Flüchtlingsrates oft an weiteren „Ausschlussgründen“. So habe eine Familie keine Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil sie 1999 im Kirchenasyl Schutz vor Abschiebung gesucht hatte. Ein Mann verwirkte das Bleiberecht, weil er beim Schlachten von Schafen keinen Veterinär hinzuzog und deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Die engherzige Auslegung des Bleiberechtserlasses durch einzelne Ausländerbehörden tut nach der Beobachtung Webers ein Übriges, die Zahl der Bleibeberechtigten klein zu halten. Auch lasse die Beratung vieler Mitarbeiter in den Ämtern zu wünschen übrig. Nur einige Städte und Kreise in Niedersachsen schrieben die Betroffenen an und informierten sie über das Bleiberecht.

In Göttingen und 20 weiteren Städten haben Betroffene und ihre Unterstützer in den vergangenen Tagen für ein weiter gehendes Bleiberecht demonstriert. Die große Koalition hat eine gesetzliche Regelung in Aussicht gestellt, die Frist zur Arbeitssuche soll bis 2009 verlängert werden. Doch nun stellen sich Niedersachsen, Bayern und andere von der Union geführte Länder quer.

Für Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) ist die Vereinbarung auch ohne Gesetz eine Erfolgsgeschichte. Nach seinen Berechnungen profitieren davon mehr Flüchtlinge als erwartet. Weil bereits nach 100 Tagen 28.000 Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hätten, sei „diese Vereinbarung die beste Bleiberechtsregelung, die es in Deutschland je gab“. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will den Streit um ein neues Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer am 5. März im Koalitionsausschuss klären lassen.