KINDER, DAS NETZ UND EIN LIEBEVOLLER 84-JÄHRIGER MANN
: Der Erklärbär der Jugend

MEIKE LAAFF

Die digitale Generation 30 plus umringt sich selbst. Auf Twitter. Auf Konferenzen. In Blogs, Podcasts und den klassischen Medien. Schön bequem ist es in der Filterblase, wo man sich – gemessen am ringsum – immer noch jung und vornedran fühlen kann: Ich schreiben das sagen. Ich stecke mittendrin. Damals Atari und Fiepsmodem, heute Instagram, Yo! und Reddit, kennen wir uns alle aus. Bis man einmal einen halben Schritt zurücktritt, auf all diesen Netzgedöns-Veranstaltungen, auf die angegrauten Schläfen und die Kindeskinderbetreuungsecken schaut und wieder einmal unangenehm auffällt: Da wächst fast nichts nach.

Was sofort zur tantigsten aller Fragen überleitet: Wo die Kids sich heutzutage im Netz eigentlich so rumtreiben. (Schlimm, wie man sich beim Online-Frühvergreisen auch noch selber beobachten kann.) Wer sich gerne auf Zynismus ausruht, hat die Antwort schnell parat: Bei knuddels.de halt. Höhöhö. Auf Youtube, wo sie sich Hautpflegetipps von Herrn Tutorials angucken oder stundenlang Letsplay-Gezocke. Diese Jugend von heute. Können nicht mal Rechtschreibung, sehe man doch in den Kommentaren.

Wenn er heute nochmal 17 wäre, würde er schnell eine Beratungsfirma gründen, twitterte kürzlich jemand. Kunden gäbe es genug: Firmen, Verlage, Netzaktivisten, alle suchen krampfhaft nach Zugang zu den Jungen im Netz. Auf der Gamescom in Köln sind sie dann auf einmal, feiern Youtube-Stars und Gamer, von denen die wenigsten Ü-30er jemals gehört haben, ab wie Stadionrocker. Phänomene, die bis vor kurzem an Massenmedien und dem Digitalalphatierchenkosmos komplett vorbeigezogen sind.

Ich frage meine ebenfalls noch einigermaßen jungen Lehrerfreunde, was die Jugend im Netz so um-, wo sie sich rumtreibt. Komme drauf an. Eher Messenger-Dienste halt – schon allein aus Kostengründen. Natürlich gebe es digital Überfitte – aber auch viele Schüler, für die das Internet an der Rasenkante ihres Facebook-Gärtchens ende. Coden lernen an der Schule? Was ich mir denn vorstellen würde!

Auch Forschung und Konferenzen werden ganz jämmerlich hüftsteif, wenn es um Jugend und Internet geht. Da braucht es einen Student, der auf Youtube als LeFloid eine erfolgreiche Newsshow voller Politik, Trash und Games produziert, um endlich mal etwas Unpeinliches zum Thema Cybermobbing zu hören. Ein Erklärbär der Jugend mit Basecap.

Montag

Anja Maier

Zumutung

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Mittwoch

Martin Reichert

Erwachsen

Donnerstag

Ambros Waibel

Blicke

Freitag

Michael Brake

Kreaturen

Erfrischendes, ganz frei von bildungsbürgerlichem Kulturpessimismus, liest man ausgerechnet von einem Mann, der demnächst 84 wird: Philosoph Michel Serres erklärt der vernetzten Generation in seinem dünnen Bändchen „Erfindet euch neu!“ seine Liebe. Schreibt allerlei Kluges über ihr Leben im Disruptiven. Beneidet die „kleinen Däumlinge“, die das Wissen der Menschheit auf Geräten in der Hand mit sich herumtragen wie einst der heilige Dionysius seinen Kopf unter dem Arm. Fragt, wie und was man sie lehren muss, diese Generation, die jederzeit alles digital abfragen kann, was man einst auswendig wissen musste.

Den Nachkommenden zugewandt. Neugierig. Ohne Zynismus. Eine Haltung, von der ich und meine angegraute Filterblase viel lernen kann.