Liebeshändel im Beichtstuhl

Die immer wunderlicher werdende Geschichte, die dem Oberstleutnant Reuss widerfuhr

Mit roten Flecken im Gesicht und vor Aufregung japsend platzte der Küster herein

Vor einigen Wochen berichtete die Wahrheit aus den Kreisen der Gesellschaft (Die Wahrheit vom 29. September 2006). Nun ist es der Redaktion gelungen, mehr in Erfahrung zu bringen über den umtriebigen Oberstleutnant Reuss und darüber, wie sich die äußerst wunderliche Geschichte seiner Liebeshändel fortsetzt.

„Bitte, so fahren Sie doch fort“, forderte der Intendanzrat Dr. Demetrius Weber den Generaldirektor Gretz auf. „Mich – und ich glaube auch im Namen des verehrten Herrn Notarius C. F. von Schiepenbeck sprechen zu dürfen –, uns also drängt es, zu erfahren, welch eine wunderliche Geschichte dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag widerfahren ist.“

Die heitere Gesellschaft hatte am Fuße eines Hügels mit herrlichem Blick auf die Biegung eines sanften Flusses ein nachmittägliches Picknick gehalten, allerlei Leckereien wurden dabei verköstigt und nicht eben wenig süßer und erquickender Wein war die durstigen Kehlen hinabgeflossen, aus denen zwischendurch fröhliches Gelächter sprudelte und abwechselnd Tor- und Weisheiten plätscherten. Die Damen hatten sich nun zur Ruhe in den Schatten einer großen Kastanie zurückgezogen, wo sie auf mitgebrachten weichen Decken und befächelt von der Dienerschaft friedlich schlummerten und dabei womöglich von Weinkrügen und geschmorten Wachteln träumten.

Die Sonne stand nicht mehr hoch, doch bis die Dämmerung einsetzen und damit an die Heimfahrt gedacht werden müsste, war es noch etwas hin, und so hatten der Notarius C. F. von Schiepenbeck, der Intendanzrat Dr. Demetrius Weber und Generaldirektor Gretz beschlossen, die verbleibende Zeit zu nutzen, um den übriggebliebenen Wein auch noch seiner ursprünglichen Bestimmung zuzuführen und dabei die kostbaren Zigarren zu probieren, die der Notarius erst vor kurzem vom Stadtkämmerer Löblich zum Geschenk erhalten hatte, als Dank für eine ihm erwiesene Gefälligkeit seitens des Notarius, über die öffentlich zu sprechen dieser sich aber nicht überreden ließ.

Der Generaldirektor rieb sich zufrieden den vollen Bauch, lehnte sich auf seinem Reisestuhl behaglich zurück, nahm genüsslich einen Zug von seiner Gefälligkeitszigarre und fuhr in seinem Bericht fort:

„Wie ich Ihnen, meine lieben Freunde, ja bereits berichtete“, so sprach also der Generaldirektor, „hatte der Oberstleutnant Reuss den Soldaten Franz Lindow also zum Manöver nach M* geschickt, um sich ungestört mit dessen schöner Frau befassen zu können. Als er sich nun gerade die Stiefel poliert, den Schnurrbart gewichst und das Haar gelackt hatte, sein Wagen schon gespannt war und dem geplanten Liebeshändel nun nichts mehr entgegenzustehen schien, just also in dem Augenblick, als er sich auf den Weg zur wunderbaren Frau Lindow begeben wollte, da platzte der Küster Lugerth zu ihm in die Stube. Mit roten Flecken im Gesicht und vor Aufregung japsend war dieser zunächst außer Stande ein Wort hervorzubringen, seine schreckgeweiteten Augen drohten aus ihren Höhlen zu quellen und Schweißtropfen perlten auf seinem glänzenden Kahlkopf. Nur unter allergrößter Mühe gelang es ihm, dem Oberstleutnant zu bedeuten, dieser möge, nein müsse sich unverzüglich und ohne zu zögern zur Kirche St. Eusebius begeben, denn nur er, der Oberstleutnant, sei im Stande dem jungen Pfarrer Rommerskirchen, der erst vor wenigen Wochen die Gemeinde von seinem Vorgänger, dem alten Pfarrer Jakob Schnurr, übernommen hatte, aus einer äußerst misslichen wie auch peinlichen Situation zu retten.

Was er denn mit dem Pfarrer Rommerskirchen zu schaffen habe, wollte darob der ungeduldige Oberstleutnant Reuss wissen, dessen Blut bereits in Wallung war und der nichts dringlicher wollte, als endlich Frau Lindow zu pressen. Er, der Oberstleutnant, sei weder fromm noch Kirchgänger und habe zudem keine Zeit. Nun, er werde sich diese Zeit wohl nehmen müssen, erwiderte der Küster, der endlich wieder zu Atem gekommen war, denn des Oberstleutnants Nichte Christine, ein unschönes Mädchen von 17 Jahren mit üblem Leumund, sei in den pikanten Fall verwickelt, weigere sich den Beichtstuhl zu verlassen und drohe mit einem Skandal, der nicht nur die Familie des Oberstleutnants in Verruf bringen, sondern auch landesweit für Aufsehen sorgen würde, denn der Sekretär des Kriegsministers Titus von Radeberg, Eugen Schölzel, befinde sich aus Gründen, die er, der Küster, jetzt nicht genauer erläutern könne, in der Stadt und habe bereits angedeutet, ihm liege nicht unbedeutend viel daran, die Sache diskret zu beenden, denn seine, des Sekretärs, Verlobte, die junge Emma Starting, bestünde darauf, ihre Trauung eben vom Pfarrer Rommerskirchen vollziehen zu lassen, und nur er, der Oberstleutnant, könne beschwichtigend auf Christinen einwirken …“

An dieser Stelle brach der Generaldirektor seine Erzählung abrupt ab, denn das glockenhelle Lachen der erwachten Damen erhellte die einsetzende Dämmerung und der Fortgang der Geschichte war nicht für keusche Damenohren bestimmt. Auch war es frisch geworden, daheim wartete das Abendessen. Die Dienerschaft hatte Körbe, Töpfe und Decken bereits in die gespannten Kutschen getragen, und so ging es zurück in die Stadt. Der Generaldirektor Gretz zwinkerte den Herren Notarius C. F. von Schiepenbeck und dem Intendanzrat Dr. Demetrius Weber verschworen zu. Er würde die wunderliche Geschichte, die dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag widerfahren war, demnächst weitererzählen … CORINNA STEGEMANN