„Keine Opfer erster und zweiter Klasse“

Heute berät der Bundestag in erster Lesung über die Rente für Opfer der SED-Diktatur – allen Protesten zum Trotz

BERLIN taz ■ Sie sind wütend, enttäuscht und empört. Deshalb machen sie Krach. Mit Trillerpfeifen, Glocken und Sirenen. Etwa 300 Männer und Frauen, viele von ihnen im Rentenalter, haben gestern Mittag für zwei Stunden die Zufahrtsstraße zur SPD-Bundeszentrale im Willy-Brandt-Haus blockiert.

Sie alle haben in der DDR Unrecht erlitten und im Gefängnis gesessen. Doch viele von ihnen werden die Pension von 250 Euro nicht bekommen, die ein Gesetzentwurf der CDU/SPD-Koalition für Opfer der SED-Diktatur vorsieht. Diese Rente sollen, im Unterschied zu Opfern des Nationalsozialismus, nur die erhalten, die als „wirtschaftlich bedürftig“ gelten. Alleinstehende, deren Einkommen über dem dreifachen Sozialhilfesatz von 1.035 Euro liegt, und Verheiratete, die den vierfachen Sozialhilfesatz von 1.380 Euro haben, gehen demnach leer aus.

Die Demonstranten, unter ihnen Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasigefängnis Hohenschönhausen, ziehen vor die SPD-Zentrale, weil die SPD-Bundestagsfraktion die umstrittene Bedürftigkeitsklausel eingearbeitet hat. Auf Transparenten bringen sie zum Ausdruck, was sie davon halten: Der Gesetzentwurf, der heute in erster Lesung im Bundestag beraten wird, sei „unwürdig, unangemessen, beschämend, opferverhöhnend, verfassungswidrig, unmoralisch“. Ihre Forderung: „Keine Opfer 1. und 2. Klasse.“ Alex Latotzky, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, sprach von „einem Schlag ins Gesicht all derer, die trotz des erlittenen Leides ein oft bescheidenes Leben aufgebaut haben“.

Unauffällig mischte sich der SPD-Bundesgeschäftsführer Martin Dorholt unter die Demonstranten. Unbeeindruckt von den Männern und Frauen, die wissen wollten, wie sie ihren Kindern und Enkeln erklären sollen, dass Täter mit ihren Renten besser dastehen als Opfer, stellte er klar: „Die Opferrente ohne Bedürftigkeitsregelung wird es nicht geben.“ Viele von denen, die gestern demonstriert haben, werden heute im Plenarsaal auf der Zuschauertribüne sitzen, wenn die Eckpunkte des Gesetzes beschlossen werden sollen. BARBARA BOLLWAHN