: Wie taz.de den Liveticker neu erfand
ONLINE Mit dem politischen Liveticker wurde taz.de zum Vorbild für andere
Zu siebt (zwei Onliner und fünf Printkollegen) hatten wir es uns in der Onlineredaktion unterm Dach des taz-Hauses in Berlin mit Hamburgern, Kaffee und Wolldecken gemütlich gemacht, um die ganze Nacht vom Super-Tuesday, dem meist vorentscheidenden Event des US-Vorwahlkampfs, zu berichten.
Das war damals, 2008, publizistisch nicht wirklich wichtig für taz.de, eher eine Mischung aus Interesse und sportlichem Ehrgeiz. Die Onlineredaktion war gerade erst ein Dreivierteljahr alt – und die Printkollegen wollten mal sehen, was online so möglich ist. Dabei entstand die Idee, über die Vorwahl in mehreren Bundesstaaten in Form eines Livetickers zu berichten, wie er bis dahin nur in der Sportberichterstattung etwa auf Spiegel Online üblich war: Anstatt einen abgeschlossenen Bericht zu schreiben, haben wir die neuesten Meldungen mit aktueller Uhrzeit vor den bestehenden Text gesetzt. So entstand eine Chronologie der Nacht.
Die Wahrnehmung unseres „Livetickers“ war mit 7.000 Klicks damals ordentlich, rechtfertigte aber kaum den Aufwand.
Als wir dann im November – Obama war gerade zum US-Präsidenten gewählt – darüber nachdachten, wie wir von den Castorblockaden im Wendland berichten, fiel uns der Liveticker wieder ein. Er war ideal, um der Fahrt des Castors ins Wendland – und den Blockaden – zu folgen. Dieses Mal wurde der Ticker 42.000-mal geklickt – das Verhältnis von Aufwand und Nutzen stimmte. Seit diesem Zeitpunkt hat die taz immer wieder Liveticker aufgelegt, etwa zum 1. Mai in Berlin oder zu Nazi-Aufmärschen in Dresden.
Im November 2010 gingen wir in die Vollen: Mit zwölf Reportern und sechs Kollegen in der Zentrale trugen wir 100 Stunden lang rund um die Uhr alles Wissenswerte von den Castorprotesten zusammen. Der Zuspruch war überwältigend. 850.000-mal wurde der Liveticker geklickt. Vor Ort verfolgten Aktivisten wie Polizei unsere Berichterstattung.
Die Konkurrenz wurde aufmerksam: Auch die Kollegen von Spiegel Online fingen an, politische Liveticker aufzusetzen. Und wenn der Marktführer Spiegel Online etwas macht, dann folgen schnell die anderen. Als nun Japan von Beben, Tsunami und AKW-Havarie erschüttert wurde, gab es kaum noch ein Newsportal, das nicht live tickerte.
taz.de berichtet nun seit zwei Wochen fast rund um die Uhr im Liveticker über Japan. Obwohl wir täglich rund sechs bis acht Hintergrundartikel zum Thema, täglich Zusammenfassungen zur Lage bieten, stellen wir fest, dass der Liveticker für unsere Leser der wichtigste Service geworden ist. Das hätten wir vor drei Jahren, als wir den politischen Liveticker entwickelten, nicht zu träumen gewagt. MATTHIAS URBACH
■ Karten für den Medienkongress? www.tazshop.de oder im taz-Café, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen