„Demokratie in Gefahr“

JUSTIZ Richter kritisiert Verfassungsgericht

KARLSRUHE taz | Über manches Lob freut sich der scheidende Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde nicht: „Gibt das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber Kontra, trifft das regelmäßig auf Begeisterung“, sagte er am Freitag bei seiner Verabschiedung in Karlsruhe. „Heftig kritisiert wird man in der Regel nur, wenn das Verfassungsgericht ein Gesetz nicht aufhebt.“ Für die Demokratie sei es aber bedenklich, so Bryde, wenn die Bürger „von einem Gericht mehr erwarten als von ihren gewählten Vertretern.“

Bryde war der erste von den Grünen benannte Verfassungsrichter, der nun die Altersgrenze von 68 Jahren erreicht hat. Mit ihm wurde die einst von der SPD benannte Christine Hohmann-Dennhardt verabschiedet.

Vor allem Bryde nutzte seine Abschiedsrede für grundsätzliche Aussagen und kritisierte dabei auch seine Kollegen. Wenn Gesetze vom Bundesverfassungsgericht schon wegen nicht überzeugender Kompromisse aufgehoben werden, dann mache man es den Interessengruppen zu leicht, ein missliebiges Gesetz zu Fall zu bringen. „Es reicht, im parlamentarischen Aushandlungsprozess eine mehr oder weniger sinnwidrige Ausnahme unterzubringen, dann kann wegen genau dieser Ausnahme das Gesetz unter Berufung auf den Gleichheitssatz angegriffen werden.“

Bryde erinnerte an das Schicksal der Vermögensteuer, die von Karlsruhe 1995 wegen der Bevorzugung von Grundbesitz beanstandet wurde. Doch statt nun bei den Immobilien nachzubessern, wurde die Vermögensteuer gar nicht mehr eingeführt. Der Gesetzgeber konnte sich hinter einem Gerichtsurteil verstecken, obwohl es für eine offene Abschaffung der Vermögensteuer keine Mehrheit gegeben hätte, Bei der Erbschaftsteuer drohe mit den jüngst eingefügten „Privilegien für Superreiche“ Ähnliches.

Bryde sieht in einer derartigen Instrumentalisierung des Verfassungsgerichts nicht nur ein Problem für die Demokratie, sondern auch der Gerechtigkeit. „Eine Gesellschaft ohne Vermögensteuer und fühlbare Erbschaftsteuer wäre ein weiterer Schritt in eine immer ungerechtere Gesellschaft, in der nicht mehr individuelle Leistung, sondern ererbter Status das Lebensschicksal bestimmt.“

Bryde war im Februar durch die feministische Rechtsprofessorin Susanne Baer aus Berlin ersetzt worden. CHR