Nichts für zarte Ohren

Das Kölner Nozart-Festival kultiviert den Anti-Opportunismus. Ohne öffentliche Förderung schaffen es die Macher seit elf Jahren, die Avantgarde der improvisierten Musik an den Rhein zu holen

VON HOLGER PAULER

Die Radikalimprovisateure der Musikwelt sind wieder vereint. Heute Abend startet das zeitgenössische und – laut Ankündigung – vor allem „zeitgemäße“ Nozart-Festival in Köln. Im Basement unter der evangelischen Christus-Kirche flirren zum elften Mal akustische und elektronische Improvisationen jenseits der Schmerzgrenze.

Der Ort im Untergrund ist durchaus symbolisch zu verstehen. Die Festivalmacher Peter Henseleit, alias „Dr. Borg“ und Peter Schöndorf, „Der Präsident“, kämpfen seit über einem Jahrzehnt gegen die Ignoranz der örtlichen Kulturschaffenden. Obwohl das Festival weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus lärmt gibt es keine langfristige öffentliche Förderung. Wichtiger ist der Kontakt zur örtlichen Stadtrevue, zum verwandten Krachlabel GROB oder zum Plattenladen/-vertrieb a-musik – allesamt ideelle Förderer des „konsequenten Anti-Opportunismus“ der Nozart-Macher. Vielleicht ist es auch ganz gut so, denn es stellt sich die Frage, ob ein derartiges Programm unter strenger Beobachtung öffentlicher Kulturverwalter überhaupt durchsetzbar wäre?

Die lokale Szene profitiert jedenfalls von der Unabhängigkeit des Festivals: Zum Auftakt versucht das Kölner Trio SSH um Frank Schulte (Live-Elektronik), Norbert Scholly (Gitarre) und Thomas Heberer (Trompete) in den Kosmos des Jazz-Übervaters Miles Davis einzutauchen. Vor allem die elektrische Phase des Trompeters und Bandleaders, die irgendwann in den späten 1960ern mit den Platten „In a Silent Way“ und „Bitches Brew“ begann und beim pulsierenden Prä-Acid-Jazz von „On the Corner“ und „Dark Magus“ landete, hat es den Musikern angetan. „Was wäre dabei herausgekommen, wenn sich Miles Davis 1975 nicht für fünf Jahre zur Ruhe gesetzt, sondern in allem – in seiner Experimentierlust wie in seinem (Drogen-)Wahn – weitergemacht hätte?“ Diese Frage wird hoffentlich beantwortet.

Ebenfalls heute trifft der Schlagzeuger und Free Jazz-Veteran Han Bennink auf den gelernten Schlagzeuger Achim Jaroschek. Der Essener Jaroschek hat sein Schlag-Instrument vor Jahren gegen das feinsinnige Piano eingetauscht – ohne, dass er seine Spielweise dem neuen Instrument angepasst hätte. Die Tasten können ein Lied davon singen. Ziemlich schräg dürfte auch das neue Projekt des Schweizer Schlagwerkers Michael Wertmüller daherkommen. Sein Projekt SWLABR (She Walks Like A Bearded Rainbow) wurde nach einem Song der englischen superheavygroup Cream benannt. Hardrock ist dabei nur eine Komponente. Wie das Sextett im Gesamtpaket klingen könnte, lässt sich Anhand des Line-Ups erahnen. Als zweiter Schlagzeuger tritt Can-Legende Jaki Liebezeit auf, den Bass spielt Marino Pliakas, Mitglied der Metal-FreeJazz-E-Musik-Supergroup Steamboat Switzerland und als Sänger hat Wertmüller Alphaville-Sänger Marian Gold ausgesucht – „Forever Big in Japan“. Schlagzeug dominiert die beiden Tage: Lucas Niggli (Steamboat Switzerland) betreibt mit chinesischen Sheng-Spieler und Sänger Wu We als Kontrast zum übrigen Programm „sensible Klangforschung“.

Ein weiteres Duo dürfte die Nostalgiker-Herzen höher schlagen lassen. Der Schlagzeuger Chris Cutler trifft hierbei auf den Bassisten Hugh Hopper. Cutler war Mitglied der legendären Art-Rock-Gruppe „Henry Cow“ um Fred Frith, Dagmar Krause und Lindsay Cooper. Als Teil der so genannten Canterbury-Szene, zu der unter anderem die Bands Caravan oder Gong gehörten, bewegte er sich zwischen psychedelischen Klängen und freier Improvisation. Canterbury-Nachbar Hugh Hopper war lange Zeit Mitglied der englischen Psychedelic- und Jazzrock-Group Soft Machine. Gemeinsam mit Robert Wyatt, Kevin Ayers und Mike Ratledege lieferte Hopper den Soundtrack für etliche LSD-Diashows in den 1970er Jahren. Was der Sound im Jahr 2007 mit den Zuhörern macht, das wird der Samstagabend zeigen.

02. und 03. März, Kölnwww.nozart.de