Samtstimme für die UN

Der Bariton-Star Thomas Quasthoff hat ein Jazz-Album aufgenommen und bewegt sich auch sonst immer mehr in Richtung Popkultur. Wird er der Bono der Klassik?

Man könnte den Eindruck bekommen, dass die Fans von Bariton-Star Thomas Quasthoff eine außergewöhnlich vielseitig interessierte Klientel sind. Sie verschanzen sich nicht im Klassik-Graben und diskutieren beispielsweise Quasthoffs Aufnahmen von Mahlers Liedern „Aus des Knaben Wunderhorn“, für die der gebürtige Hildesheimer den ersten von mittlerweile drei Grammys bekam. Statt dessen scheinen sie sich Gedanken zu machen, ob das klassische Kunstlied und die Oper tatsächlich alles sind, was Quasthoff kann. Folglich steht überraschend auf Quasthoffs Internetseite unter „häufige Fragen“: „Singt Thomas Quasthoff auch Jazz?“ Die Antwort: „Sehr gerne! Jazz ist seine (nicht nur) heimliche Passion.“

Nicht nur heimlich, das stimmt, denn heute erscheint Quasthoffs erstes Jazz-Album namens „Watch what happens“. Zu hören sind darauf 13 Stücke, die größtenteils aus den 1930er und 40er Jahren stammen: Duke Ellington ist mit „In my solitude“ vertreten, George Gershwin mit „They all laughed“ und auch „My funny valentine“ fehlt nicht. Lauter Hits für die große Besetzung. Bei der Quasthoff mit seinem Produzenten Till Brönner nicht an Prominenz gespart hat: In der Big Band spielen nur Szenegrößen, und die Balladen gestaltet das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin.

Quasthoff hat bei der Auswahl der Stücke und der Musiker jedes Risiko vermieden. Alles bei dieser CD dreht sich um die Frage, wie sich der Klassik-Star macht im Jazz. Und Quasthoff kann es, er ist ganz der Crooner, der auf Wohlklang setzt und auf Gefühl: vorsichtig und klar und ganz sicher im Dosieren von Opulenz und Atmosphäre.

Eine wirkliche Überraschung ist das nicht, nachdem Quasthoff in Hannover bereits seinen Bruder Michael und Dietrich zur Nedden bei deren „Fitz Oblong Show“ unterstützte und auch schon mit der Berlin Philharmonic Jazz Group ein Benefiz-Konzert gab. Und doch bewegt sich der contergangeschädigte Quasthoff mit dieser CD ein Stück weiter in Richtung Popkultur. Was ja gerne bei den Bildern anfängt: Die Promo-Fotos stammen von Jim Rakete, der sonst Pop-Prominenz wie Mick Jagger oder Nina Hagen fotografiert. Vergangenen Sonntag war Quasthoff zu sehen im NDR in der TV-Kochsendung „Alfredissimo!“ Auch der Programmzeitschrift Hörzu gab er ein Interview: Darin kritisierte er paradoxer Weise die Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Thomas Quasthoff wird seine neue CD am kommenden Mittwoch in New York in der Carnegie Hall vorstellen. Am liebsten aber wäre ihm ein Auftritt vor der UN-Vollversammlung, die er gerne fragen würde, „ob wir wirklich bis heute nicht begriffen haben, dass wir nur diesen einen Planeten haben und endlich mal davon wegkommen müssen, dass jeder nur in die eigene Tasche wirtschaftet“. Es klingt, als könnte Quasthoff der Bono der Klassik werden. KLAUS IRLER