Brisanter Brennstoff im Beet

Nach dem rätselhaften Fund von angereichertem Uran in einem niedersächsischen Garten ermittelt die Staatsanwaltschaft Hildesheim gegen den offenbar psychisch kranken Grundstücksinhaber. Die Herkunft des Urans ist weiterhin unklar

VON REIMAR PAUL

Drohen bald Bombenangriffe US-amerikanischer Kampfjets auf ein Wohnhaus im niedersächsischen Lauenförde? Wohl eher nicht. Aber für Aufregung sorgt der Fund von angereichertem Uran in dem kleinen Ort an der Weser allemal. Wie am Mittwochabend bekannt wurde, hatten Strahlenschutzleute der Gewerbeaufsicht Hildesheim 110 Gramm dieses Stoffes bereits am 22. Februar im Garten eines Lauenförder Einwohners sichergestellt. Nach Hinweisen, dass sich auf dem Grundstück noch mehr Uran befinde, startete die Polizei am Nachmittag eine weitere Suchaktion.

Der 45 Jahre alte Eigentümer brachte die Angelegenheit selbst ins Rollen. Er hatte am 17. Januar über einen Rechtsanwalt dem Bundeskanzleramt geschrieben, dass in seinem Garten Uran vergraben sei. Dem Brief war auch eine Skizze beigefügt, wo das Material genau liege. Das Kanzleramt informierte daraufhin das Bundesumweltministerium, das den Brief wiederum ans niedersächsische Umweltministerium weiterleitete – „umgehend“, wie ein Regierungssprecher in Berlin gestern betonte.

Der Mann wollte das Uran schon seit längerer Zeit loswerden. Er hatte bereits seit Jahren verschiedene Stellen über den brisanten Stoff in seinem Besitz informiert, doch offensichtlich interessierte sich niemand dafür. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) bestätigte gestern, der 45-Jährige habe der Polizei schon früher von im Wald vergrabenem Uran berichtet. Die damalige Suche sei aber erfolglos geblieben.

Das nun gefundene Uran besteht nach Angaben des Umweltministeriums aus 14 bleistiftdünnen Zylindern, die jeweils einen Zentimeter hoch sind und knapp acht Gramm wiegen. Diese so genannten Pellets werden in Brennelementfabriken hergestellt. Die einzige deutsche Fabrik steht im emsländischen Lingen. Das Uran war auf knapp vier Prozent angereichert, dies entspricht dem Anreicherungsgrad für Leichtwasserreaktoren. Im Natururan kommt das spaltbare Isotop Uran 235 nur etwa zu 0,7 Prozent vor. Damit im AKW eine kontrollierte atomare Kettenreaktion ausgelöst werden kann, muss der Anteil von Uran 235 auf mindestens 3,5 Prozent erhöht werden. Dies geschieht in Urananreicherungsanlagen.

Gefahr für die Bevölkerung durch das Uran bestand dem Ministerium zufolge zu keiner Zeit. Von den Pellets gehe keine nennenswerte Strahlung aus. Der atomkritische Physiker Wolfgang Neumann sagte, frisch gepresste Pellets für Brennelemente sendeten lediglich Alpha-Strahlen mit einer geringen Reichweite aus und seien relativ ungefährlich. Zum Bau von Atomwaffen konnte das Uran aus Launeförde ebenfalls nicht genutzt werden – hierfür ist ein sehr viel höherer Anreicherungsgrad erforderlich.

Angereichertes Uran unterliegt als Brennstoff für Atomkraftwerke einer strengen staatlichen und internationalen Aufsicht. Minister Sander räumt ein, dass die Pellets niemals außerhalb eines kontrollierten Bereichs gelangen dürfen. Der private Besitz von angereichertem Uran ist verboten.

Unmittelbar gegenüber von Lauenförde auf der anderen Weserseite liegt das Gelände des ehemaligen AKW Würgassen. Der Siedewasserreaktor wurde Mitte der 1990er Jahre stillgelegt und wird seitdem demontiert. Gestern gab es erste Hinweise auf eine mögliche berufliche Verbindung des Mannes zum AKW. Er hat nach taz-Informationen zeitweise in einer Putzkolonne gearbeitet, die auch im AKW Würgassen tätig war. „Es liegt nahe, dass der Fall etwas mit Würgassen zu tun hat“, sagt der Göttinger Chemiker Rolf Bertram.

Der Ingenieur Frank-Egbert Rubbel von der niedersächsischen Atomaufsicht geht hingegen davon aus, dass die Pellets aus einer Brennelementefabrik stammen. Der Geschäftsführer der Lingener Brennelementefabrik, Peter Reimann, hält es für „eigentlich nicht vorstellbar“, dass die Pellets aus einem Atomkraftwerk stammen.

Das Material soll nun untersucht werden, zunächst vom Institut für Transurane in Karlsruhe. Sander ist sicher, dass dort „die Herkunft zweifelsfrei geklärt werden kann“. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim nahm Ermittlungen gegen den Gartenbesitzer wegen illegalen Besitzes von Kernbrennstoffen auf.

Niedersachsens Grüne forderten gestern eine „lückenlose Aufklärung“ des Vorfalls. Fraktionschef Stefan Wenzel sagte, die Behörden müssten dabei auch klären, ob der Stoff aus inländischen oder aus ausländischen Quellen stamme. Die Tatsache, dass der Mann kaum auf legalem Weg in den Besitz der Uran-Pellets gekommen sei, lasse befürchten, dass Uran über dunkle Kanäle nach Deutschland transportiert werde, erklärte die Landesvorsitzende Dorothea Steiner. Zugleich verlangen die Grünen eine Überprüfung und notfalls Verschärfung der Vorschriften zum Umgang mit radioaktiven Stoffen.

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