„Jede Woche ist gleich“

HAUSBESUCH Sie sehen sich sogar, wenn sie im Bett liegen. Was die Zwillinge unterscheidet? Hendrik ist Linkshänder

„Wenn wir wählen könnten, würden wir die Schule oder den Fußball heiraten“

HENDRIK MAHLOW

VON STEFFI UNSLEBER
(TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Potsdamer Stadtrand. Lady’s First Fitnessstudio, Dänisches Bettenlager. Ein paar Platten, dann Einfamilienhäuser. Im Hintergrund rauscht die Autobahn. Zu Besuch bei den Zwillingen Mathias und Hendrik Mahlow, 30.

Draußen: Ein flaches weißes Haus, die Fensterläden aus hellem Holz. An der Haustür lehnen zwei identische Paar Adidas-Schuhe, weiß mit schwarzen Streifen.

Drin: Hendrik und Mathias können sich ansehen, wenn sie im Bett liegen. Sie haben zwei Eingänge, aber die Zimmer sind nur durch eine halbe Wand getrennt. Privatsphäre? „Gibt es nicht“, sagt Hendrik. Vermissen sie das nicht? „Nein.“ Ihre Zimmer sind komplett gleich eingerichtet, nur spiegelverkehrt. Bett, Schrank, Schreibtisch, mintgrüner Teppichboden. „Wie hätte man es auch anders machen sollen?“, fragt Hendrik. In Mathias’ Zimmer sind die untersten Fächer des Schranks mit Spielberichten des Fußballvereins gefüllt, in dem sie im Vorstand sind. Von 2002 an haben die beiden jedes Spiel dokumentiert. In Hendriks Schrank stehen am selben Platz die Ordner der Schulchronik. „Eine Lebensaufgabe“, sagt Hendrik. Seit mehr als zehn Jahren besuchen sie ehemalige Schüler ihrer Realschule und recherchieren im Archiv, um den Schulalltag seit 1884 zu dokumentieren. „Wir haben uns auch schon oft die Frage gestellt, warum wir das machen“, sagt Mathias. „Man macht es schon so lange. Warum sollte man damit aufhören?“, fragt Hendrik.

Wer macht was? Die Zwillinge haben eine fast identische Biografie. In Chemnitz geboren, nach Potsdam gezogen, nach der Realschule eine Ausbildung zum Maler und Lackierer gemacht – im selben Betrieb. Fachabi und Studium in Potsdam. Jetzt sind sie Bauingenieure. Hendrik beugt sich über das Diktiergerät und spricht alle Stationen deutlich in das Gerät. Sie hatten ihre Exmatrikulation am 30. September 2014, jetzt arbeiten sie in derselben Firma. „Ja, wir wissen, das ist merkwürdig“, sagt Mathias. „Man hat es einfach so gemacht“, sagt Hendrik.

Wie unterscheiden sie sich? „Ich bin etwas ruhiger“, sagt Mathias. „Hendrik ist temperamentvoller.“ – „Der böse Zwilling“, sagt Hendrik. Außerdem ist Mathias Rechtshänder, Hendrik ist Linkshänder.

Der Alltag: Wer zuerst am Schrank ist, sucht aus, was beide anziehen. Alles liegt dort doppelt aufeinander: Hemden, Pullis, Hosen. „Es war schon früher so, und dann hat man es fortgeführt“, sagt Hendrik. Haben sie mal überlegt, damit aufzuhören? „Nein“, sagt Hendrik. „Wenn es kommt, dann kommt’s“, sagt Mathias. „Aber mehr Einflüsse als die Arbeit, den Fußballverein und die Schulchronik gibt es nicht“, sagt Hendrik. „Jede Woche ist gleich.“ Sie gehen sechsmal pro Woche zum Fußballspielen. „SG Eintracht 90 Babelsberg“, sagt Hendrik ins Mikrofon.

Die Eltern: Der Vater wohnt mit im Haus. Ihre Mutter ist vor zehn Jahren gestorben. „Aber das war kein Problem für uns“, sagt Hendrik. „Wir hatten genügend Zeit, um Abschied zu nehmen.“

Der letzte Urlaub: Ist drei Jahre her. Sie fahren immer mit der Familie an die Ostsee und campen dort. Auch das nächste Mal? „Ja“, sagt Hendrik. „Es spricht nichts dagegen.“ Haben sie Fernweh? Einstimmig: „Nein.“ Mathias: „Wir sind bodenständig.“ Hendrik: „Haben eben viel zu tun.“

Wann waren sie einmal getrennt? Die beiden überlegen lange. „Das hieße ja“, sagt Mathias, „dass wir woanders übernachtet hätten.“ – „Das kann nur mit Krankheit oder dem Beruf zu tun gehabt haben“, sagt Hendrik. „Ich glaube, in den letzten zehn Jahren waren wir nie länger als zehn Stunden getrennt“, sagt Mathias. „Aber wir müssen noch mal alle Dokumente anschauen.“ Einen Tag später schicken sie eine E-Mail: „Auch nach reichlicher Überlegung und Rücksprache mit unserem Vater fällt uns nicht ein, wann wir das letzte Mal ,richtig‘ getrennt waren!“

Haben sie auch gemeinsame Freunde? Hendrik: „Wir haben viel zu tun, da kommt man nicht so zum Freundschaftenschließen.“ Mathias: „Leider.“ Hendrik: „Eigentlich sind wir Arbeitstiere.“ Mathias zögert. „Man redet als Zwilling immer in der Wir-Form. Und geht davon aus, dass es auch für den anderen zutrifft.“ „Und das ist ja auch so“, sagt Hendrik.

Was machen sie am Wochenende? „Arbeiten“, sagt Hendrik. „Na komm. Der Samstag ist unser Ausruhtag“, sagt Mathias. „Aber Arbeit ist immer dabei“, sagt Hendrik. „Wir sind sehr akribisch. Ein Freund hat mal gesagt, wir leben für den Fußball und die Arbeit. Und das stimmt!“ Sie waren noch nie in einer Disko. „Wir sind froh über jede Freizeit und Ruhe, die wir haben“, sagt Hendrik. „Immer wieder taucht hier im Gespräch das Wort Arbeit auf“, sagt Mathias. „Wir haben eben keine Zeit, um uns zu entspannen“, sagt Hendrik.

Und wie ist es mit den Mädchen? „Unsere Woche ist restlos ausgefüllt“, sagt Mathias. „Wenn wir wählen könnten, würden wir die Schule oder den Fußball heiraten“, sagt Hendrik. „Wahrscheinlich müssen wir irgendwann beschließen, dass wir uns trennen und ans jeweils andere Ende der Stadt ziehen. Wahrscheinlich würden wir dann noch selbstständiger sein“, sagt Mathias. „Was meinst du mit selbstständig?“, fragt Hendrik. „Wenn man immer jemanden hat, immer einen Ansprechpartner, dann hat man wahrscheinlich weniger Sehnsucht nach anderen Menschen“, sagt Mathias.

Das letzte Date: „Das ist natürlich ein wunder Punkt“, sagt Mathias. „Wir sind dreißig, hatten noch nie eine Freundin. Nur Bekanntschaften.“ Die letzte Bekanntschaft? Das war im September 2002. Zwei Schwestern, die sie an der Ostsee kennengelernt hatten. „Wir waren eher so eine Clique“, sagt Hendrik. Sie haben sich einige Briefe geschrieben. Aber das ist irgendwann eingeschlafen.

Wann sind sie glücklich? „Ui“, sagt Mathias. Ein Seufzen. „Wenn wir eine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen haben“, sagt Hendrik.

Nächstes Mal treffen wir Familie Ehrler in Reifland im Erzgebirge. Sie möchten auch einmal besucht werden? Schreiben Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de