Idealismus auf Sand gebaut

MOGELPACKUNG In Nanjing beginnen heute die zweiten Olympischen Jugendspiele. Sie sollten eine spaßbetontere Alternative zum Kommerzdenken der „großen“ Spiele sein. Doch die Teilnehmer sind schon zu stark ins System des Leistungssports eingebunden

■ Geschichte: Im Jahre 2007 beschlossen die IOC-Mitglieder die Einführung Olympischer Jugendspiele. Die ersten Sommerspiele fanden 2010 in Singapur statt, die Winterspiele 2012 in Innsbruck.

■ Sportprogramm: In Nanjing kämpfen vom 16. bis zum 28. August gut 3.600 Jugendliche um Medaillen in 28 Sportarten. Erstmals sind Beachvolleyball und Golfwettbewerbe mit dabei. Basketball wird im Streetballmodus (drei gegen drei auf einen Korb) gespielt.

■ Kulturprogramm: Zusätzlich zum Sportprogramm gibt es ein Kultur- und Bildungsprogramm. Dabei geht es um Themen wie olympische Erziehung, Persönlichkeitsentwicklung, kulturelle Bildung und gesunder Lebensstil.

■ TV-Programm: Die Website sportdeutschland.tv überträgt ab dem 16. August im Internet rund um die Uhr die Wettkämpfe.

■ Programmänderung: Nach den Teams aus Sierra Leone und Nigeria werden auch die Athleten aus Liberia wegen der Ebola-Pandemie in Westafrika nicht an den Spielen teilnehmen. Die zehnköpfige Delegation von Nigeria hatte sich wegen der als Schikane empfundenen Isolation und Behinderungen beim Training am Donnerstag aus Protest von den Spielen zurückgezogen.

VON JOHANNES KOPP

Gewaltigen Eindruck haben sie bereits hinterlassen, die Olympischen Jugendspiele von Nanjing, obwohl sie erst an diesem Samstag feierlich eröffnet werden. Bis zum 28. August wetteifern knapp 3.800 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren in der ostchinesischen Metropole um Medaillen. „Es fühlt sich hier mehr so an, als wenn wir bei Olympischen Spielen wären – und nicht bei Jugendspielen“, erklärte Guro Lium dieser Tage der chinesischen Nachrichtenagentur Yinhua. Die Norwegerin vom Organisationskomitee der Winterspiele 2016 in Lillehammer staunte über die professionellen Maßstäbe, die in Nanjing gesetzt werden.

Dabei sollen die Jugendspiele keine Kopie der großen Spiele werden. Jacques Rogge, der einstige Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Initiator der Jugendspiele, die vor vier Jahren in Singapur ihre Premiere feierten, wollte etwas Neues schaffen. Eine spaßbetontere Veranstaltung, die nicht vom Leistungs-, Profit- und Erfolgsstreben und von damit einhergehenden Manipulationsversuchen – sprich: Doping – geprägt ist. Eine Veranstaltung, die mit einem begleitenden Kulturprogramm die olympischen Ideen der Völkerverständigung und des fairen Miteinanders stärken soll.

Auch im Sinne dieser Bestimmung empfahl erst vor Kurzem der ehemalige deutsche Ruder-Olympiasieger Wolfgang Maennig, heute Hochschullehrer für Wirtschaftswissenschaften, die Deutschen sollten sich vor einer Bewerbung für die Olympischen Spiele in Berlin oder Hamburg erst einmal an den Jugendspielen ausprobieren. Diese seien kleiner und innovativer und deshalb geeignet, als Grundlage für ein Alternativmodell zum Gigantismus der Spiele der letzten Jahre zu dienen.

Christian Klaue, der Pressesprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), erklärte, nach dem Scheitern der Münchner Winterspiele am Votum der Bürger Ende des vergangenen Jahres habe man sich beim DOSB Gedanken darüber gemacht, ob man sich künftig um Jugendspiele oder um die großen Sommerspiele bewerben solle. Man habe sich nun für Letzteres entschieden. Beides wäre trotz der unterschiedlichen Dimensionen der Veranstaltungen nicht gegangen. Man müsse sich nur in Nanjing umschauen, um das zu verstehen.

Denn so klein und alternativ, wie es auch gern die Funktionäre vom IOC glauben machen möchten, sind die Jugendspiele eben nicht. Dabei hatten die Organisatoren von Nanjing damit geworben, dass ihr Budget trotz leicht gestiegener Teilnehmerzahlen 10 Prozent weniger betragen würde als das von Singapur; von 210 Millionen Euro war die Rede. Wie sich diese Investitionen aufschlüsseln, wurde aber nicht transparent gemacht. Zudem ist in der genannten Summe nicht eingerechnet, wie sehr Nanjing bereits in Vorleistung getreten ist: Vor einem Jahr hatte die 6-Millionen-Einwohner-Stadt mit den asiatischen Jugendspielen bereits eine nicht viel kleiner dimensionierte Veranstaltung ausgerichtet.

Ursprünglich waren für die Ausrichtung der Jugendspiele vom IOC Länder vorgesehen, die sich Olympische Spiele nicht leisten können. China und Singapur passen offenkundig nicht in dieses Schema, Argentinien, das mit Buenos Aires 2018 Gastgeber sein wird, nur mit Abstrichen.

Und noch weitere Widersprüche fallen auf. Bernhard Schwank, der Leistungssportdirektor vom DOSB, spricht gern von den zwei Säulen, von denen die Jugendspiele getragen werden. „Für uns und die Spiele ist kennzeichnend, dass nicht ausschließlich der sportliche Erfolg im Mittelpunkt steht, sondern dass hier das sogenannte Culture and Education Programme im Mittelpunkt steht.“

Doch wie glaubwürdig ist es, wenn der Leistungssportdirektor verkündet, Leistung sei nicht mehr das alles Entscheidende und er wolle keine Medaillen zählen? Boxtrainer Oliver Caruso erklärte bereits vor vier Jahren: „Bei Europa- und Weltmeisterschaften sollen die Jugendlichen volle Leistung geben, und bei den Jugendspielen soll es dann nur Tralala sein? Das glaube ich nicht.“

Zumal Schwank vor dem Beginn der Spiele in Nanjing sagt: „Wir hoffen natürlich, dass wir viele von unseren Teilnehmern auch dann irgendwann einmal in einer Olympiamannschaft wiedersehen werden.“ Als Paradebeispiel nennt er den Skispringer Andreas Wellinger, der als 16-Jähriger bei den ersten Winterjugendspielen 2012 in Innsbruck im Mixed Team die Goldmedaille gewann und zwei Jahre später bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi wieder mit der Mannschaft ganz oben auf dem Podest stand.

Die propagierte Zurückstellung des Leistungsgedankens wirkt künstlich. Schwank selbst räumt ein: „Die Verbindung des Sports und des Kulturprogramms ist eine Herausforderung.“ Man habe aber aus den Erfahrungen in Singapur und Innsbruck gelernt. Insbesondere in Hinsicht auf die „räumliche und zeitliche Anordnung der Angebote“, wie Schwank etwas geschwollen formuliert. „Sportler – das kann man auch verstehen – schielen erst einmal auf ihren Wettkampf.“ Es sei nicht einfach, sie anderweitig zu motivieren. Die Zweisäulenkonstruktion ist statisch gesehen ein sehr wackliges Experiment, Idealismus auf Sand gebaut.

Schon nach der ersten Ausgabe der Jugendspiele in Singapur gab es im Sportausschuss des Bundestages parteiübergreifende Kritik. Dagmar Freitag (SPD) bemängelte damals, dass entgegen anderslautenden Ankündigungen der Leistungsgedanke im Vordergrund gestanden hätte. Und Klaus Riegert (CDU) kritisierte den damaligen DOSB-Präsidenten und heutigen IOC-Chef Thomas Bach, der gesagt hatte, er könne sich eine „kontrollierte Kommerzialisierung“ der Olympischen Jugendspiele künftig vorstellen.

Zur Begründung für den Gesinnungswandel schob man beim DOSB nach, die Jugendlichen seien doch tagtäglich mit Kommerzialisierung konfrontiert. Sprich: Die Auflage für Sponsoren, sich dezent im Hintergrund zu halten, wurde als künstlich erachtet.

Mit der gleichen Begründung könnte man dann auch Leistungsdruck zulassen, ist doch auch er eine alltägliche Erfahrung der jungen Nachwuchssportler. In der Realität ist er ja ohnehin bereits vorhanden. Die üblichen Folgen konnte man schon bei den Spielen in Singapur 2010 beobachten. Zwei Ringer fielen mit positiven Dopingproben auf. Auch die politische Vereinnahmung der Teilnehmer lief nach bekanntem Muster ab. Ein iranischer Taekwondo-Kämpfer schwänzte das Finale einschließlich Siegerehrung, weil sein Gegner ein Israeli gewesen wäre.

Ihre Unschuld haben die Spiele schon verloren. So taugen sie vornehmlich als Testfeld für neue Formate wie Sportklettern oder Skateboarden. Und Golf, das in Rio de Janeiro 2016 nach 110-jähriger Pause wieder olympisch wird, wird auch schon in Nanjing gespielt.