„Die Schulen dürfen nicht länger herausgehalten werden“

Der Freiburger Soziologe Albert Scherr erforscht die Arbeit gegen Rechtsextremismus und sieht im Von-der-Leyen-Programm einen unüberlegten Schnellschuss

taz: Herr Scherr, Frau von der Leyen will künftig bei rechtsextremistischen Vorfällen Interventionsteams losschicken. Ist die Anti-Nazi-Navy eine Chance?

Albert Scherr: Nein. Dieses Konzept, bei rechtsextremen Vorfällen für kurze Zeit Fachkräfte vor Ort zu schicken, ignoriert die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung komplett. Das ist vielleicht auch nicht verwunderlich, schließlich ist das Konzept in sehr kurzer Zeit entstanden. Das Ministerium reagiert damit ja lediglich auf die Empörung, die es gab, weil es zentrale Elemente der bisherigen Programme abschaffen wollte.

Langfristige Projekte haben aber auch keine sichtbaren Erfolge vorzuweisen. Schließlich haben rechtsextreme Straftaten eher zu- als abgenommen.

Das ist eine, gelinde gesagt, seltsame Sichtweise. Die Erfolge von Vorsorge zu messen, würde an Hellseherei grenzen. Man kann die Frage: Was wäre gewesen, wenn es die Programme nicht gäbe, nicht begründet beantworten. Die Forschung hat aber Wirkungen nachgewiesen. Die Projekte sind sicherlich kein universelles Heilmittel für den Rechtsextremismus. Was sie aber können – und das recht erfolgreich –, ist, relevante Gegengewichte zu rechtsextremen Bestrebungen zu schaffen.

Könnten das kurzfristige Interventionen auch?

Nein. Unter Wissenschaftlern besteht aufgrund der Forschungsergebnisse Einigkeit, dass nur eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem Rechtsextremismus vor Ort Erfolg verspricht.

Warum?

Weil beispielsweise die Opfer von rechtsextremer Gewalt Vertrauen zu den Opferberatungen haben müssen, wenn sie sich an diese wenden sollen. Und weil die Mobilen Beratungsteams eine längere Zeit benötigen, bis sie von den Kommunen als Ansprechpartner akzeptiert werden. Darum brauchen sie bei ihrer Arbeit Kontinuität. Beispielhaft zeigt dies die zusammenfassende Untersuchung der bisherigen Projekte von Heinz Lynen von Berg und anderen Autoren der Universität Bielefeld.

Das Familienministerium will Juristen und Psychologen in die Teams einbinden. Tut es der Arbeit gegen Rechtsextremismus nicht gut, wenn sich dort mehr Profis engagieren?

Im Prinzip ja. Das darf aber nicht zu Lasten der bisherigen Strukturen gehen. Die werden auch von Profis getragen, die inzwischen auf langjährige Erfahrungen im Umgang mit Rechtsextremismus und den regionalen Gegebenheiten zurückblicken können. Sie sind besser in der Lage einzuschätzen, ob es sich bei einer Schlägerei um einen normalen Streit oder eine rechtsextremistisch motivierte Straftat handelt. Die eigentliche Frage ist auch nicht, ob wir mehr Juristen brauchen. Sondern warum zentrale gesellschaftliche Institutionen wie die Schule aus allem rausgehalten werden.

Wie meinen Sie das?

Die Schulen sind die wirkmächtigste Instanz für die Erziehung und Bildung junger Menschen. Aber eine Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus findet dort gewöhnlich nicht statt. Denn die Idee einer demokratischen und antirassistischen Bildung spielt in der Schule und bei der Ausbildung von Lehrern bislang kaum eine Rolle. Das Problem Rechtsextremismus wird uns aber noch lange beschäftigen. Am nachhaltigsten können wir ansetzen, indem wir die Schulen in die Auseinandersetzung mit einbeziehen.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ