SPD stellt sich die Sinnfrage

Schlechte Umfragen und lokale Querelen vermiesen der neuen Chefin Hannelore Kraft den Start. Der Parteilinke Michael Müller fragt: „Kann man in dieser Zeit überhaupt noch Politik machen?“

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

Gudrun Hock will kein Krisensymptom sein. „Eine Stimme hat zur Mehrheit gefehlt. Das ist eben Pech“, sagt die Frau, die gerne für die SPD Oberbürgermeisterin von Düsseldorf geworden wäre. Weil ihr eine hauchdünne Mehrheit der eigenen Genossen im Stadtrat der Landeshauptstadt den Fraktionsvorsitz verweigerte, kommt Hock nun gar nicht erst dazu, den amtierenden Rathauschef Joachim Erwin (CDU) bei der nächsten Kommunalwahl herauszufordern. Die Genossen stehen nun ohne Spitzenkandidat da, die Partei in der NRW-Hauptstadt zerlegt sich selbst.

Während die Landes-SPD irritiert auf die Düsseldorfer Zänkereien schaut, erreichte die neue Parteichefin Hannelore Kraft in dieser Woche eine neue Forsa-Umfrage. Wenn Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts und sogar selbst SPD-Parteimitglied, das Wahlvolk befragt, kommen für die Sozialdemokratie meist ziemlich traurige Zahlen dabei heraus. Diesmal fand Forsa heraus, dass knapp 40 Prozent der NRW-SPD-Anhänger bei der nächsten Wahl bei Rüttgers ihr Kreuz machen wollen. „Die SPD“, sagt Güllner, „befindet sich in einer personellen Krise.“ Das Führungskräfteangebot der SPD sei ausgedünnt. „Jetzt rächt sich, dass die Partei die Nachwuchsförderung vernachlässigt hat.“ Die Düsseldorferin Hock sagt: „Besonders motivierend für den Nachwuchs ist es sicher nicht, wenn so etwas wie bei uns passiert.“

Das Desaster von Düsseldorf passt gut in das düstere Bild, dass die Sozialdemokraten derzeit in der Fläche abgeben: In Wiesbaden vergisst die Partei, ihren Oberbürgermeisterkandidaten anzumelden, in Hamburg tritt der Landesvorstand nach einem peinlichen Wahlchaos zurück – die Partei droht, von unten wegzubröckeln. „Die Lage in NRW ist vielleicht besonders problematisch, weil wir vorher so lange regiert haben“, sagt Dietmar Nietan, Präsidiumsmitglied der Landespartei. Der Weg zurück werde lang sein: „Und schlechte Forsa-Umfragen wird es vorerst wohl weiter geben.“

Gegen die schleichende Depression setzt die NRW-SPD auf den Kraft-Faktor. Die frisch gekürte Rüttgers-Herausforderin habe die Stimmung bereits verbessert. „Wir sind alle gut drauf hier“, sagt Parteisprecher Dirk Borhart über die Stimmung in der Landeszentrale. Sogar einen leichten „Kraft-Schub“ wollen die Genossen bemerkt haben: Seit Jahresbeginn sind 600 Menschen neu in die NRW-SPD eingetreten.

Besonders in Krafts Heimatstadt Mülheim zieht die neue Spitzenfrau. Allein 100 Neueintritte vermeldet die Partei in der Ruhrkommune. Wirklich bekannt ist Kraft deshalb aber noch nicht: In Günther Jauchs Quizshow „Wer wird Millionär“ lautete unlängst die 8.000-Euro-Frage, ob die NRW-SPD von einer Frau „Power“, „Energie“, „Stärke“ oder „Kraft“ geführt werde. Der Kandidat musste raten.

Ersten Sozialdemokraten schlagen die schlechten Schlagzeilen offenbar schon so aufs Gemüt, dass sie die Sinnfrage stellen. „Manchmal frage ich mich, ob man in dieser Zeit überhaupt noch Politik machen kann“, sagt Michael Müller. Der Parteilinke ist parlamentarischer Staatssekretär von SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel. Müller klagt über mediale Hype-Debatten, „Beschleunigung“ und „Oberflächlichkeit“. Müller kommt aus Düsseldorf. „Die dortigen Konflikte sind ein Einzelfall, aber auch ein Symptom“, sagt er. Es gehe um Postengeschacher, aber auch um inhaltliche Fragen. Soll die SPD pragmatische Probleme lösen oder die ganz großen Fragen stellen? „Wir müssen den globalen Kapitalismus bändigen.“

In der Zentrale der Landespartei wird derzeit in kleineren Kategorien gedacht. Mit Fleißarbeit sollen die Genossen bei der Stange gehalten werden: „Hannelore Kraft hat schon jedem Mitarbeiter die Hand geschüttelt“, sagt Präside Nietan. Auch Gudrun Hock verspricht, trotz Wahlniederlage weiterzumachen: „Ich bleibe Stadträtin und Bürgermeisterin“, sagt sie. Ehrenamtlich.