Wer hat Angst vorm Blumengarten?

Das Metropolis widmet sich in einer Hommage der fast vergessenen US-amerikanischen Underground-Filmemacherin Marie Menken

Sie schrieben, filmten und tranken. Für Andy Warhol waren Marie Menken und ihr Ehemann Willard Maas die letzten Exemplare der großen Bohemiens. Aus der New Yorker Kunstwelt der 50er, 60er und 70er waren die „gelehrten Trinker“, wie sie im Freundeskreis genannt wurden, dabei nicht nur ihrer freigiebigen Partys und Salons wegen nicht wegzudenken, die die Filmemacher, Künstler, Schriftsteller und Intellektuellen Manhattans zusammenbrachten. So hält sich das Gerücht hartnäckig, Edward Albees legendäres Bühnenstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ speise sich vor allem aus den Anekdoten über das trinkende Künstler-Paar.

Einflussreich waren Menken und Maas indes vor allem als experimentelle Filmemacher. Die durch sie gegründete „Gryphon Group“ war eine der ersten Kooperationen zur Förderung der Produktion und Distribution von Independent-Filmen. Menkens Einfluss gründet dabei insbesondere in ihrem unkonventionellen Umgang mit der Handkamera. Sie habe improvisiert und geschnitten, während sie drehte, weiß der „Gottvater des amerikanischen Avantgardekinos“ Jonas Mekas zu berichten. Sie habe mit ihrem gesamten Körper, ihrem gesamten Nervensystem gefilmt. In jeder Einstellung spüre man sie, darin, wie sie ihre Filme aus winzigen Teilen und durch Bewegung konstruiert. Genau diese Bewegung sei es, was andere aufgriffen und später weiterentwickelten.

Filmemachen war dabei für Menken eine natürliche Entwicklung während ihrer Beschäftigung mit der Malerei. Ihr ging es vorwiegend darum, Licht festzuhalten: dessen Effekt auf strukturierten Oberflächen, das Leuchten in der Finsternis, die Beharrlichkeit des Blicks – und die Erschöpfung der Augen.

In der Reihe über die US-amerikanische Avantgarde zeigt das Metropolis nun am Dienstag das Porträt „Notes on Marie Menken“ der Filmemacherin Martina Kudláček, das die fast vergessene Geschichte der widersprüchlichen Künstlerin erzählt. Subtil aus individuellen Zeugenschaften und vergessenen Archivbeständen zusammengebastelt, gibt der Film Einblicke in Menkens sozialen und künstlerischen Kampf und ihre radikale Integrität und zeichnet das Bild eines modernen Mythos im Stil eines persönlichen Tagebuchs. Zu sehen ist dabei nie gezeigtes Material, das Kudláček in Kellern und Lagerhallen gefunden hat, darunter ein Bolex-Kamera-Duell zwischen Menken und Andy Warhol. Den Soundtrack zu „Notes on Marie Menken“ hat übrigens eine der schillerndsten Figuren der zeitgenössischen New Yorker Avantgarde beigesteuert: der Ausnahmekomponist und -musiker John Zorn. Erschienen ist der auf dessen „Tzadik“-Label, als „Filmworks XVII“.

Im Anschluss an „Notes on Marie Menken“ zeigt das Metropolis mehrere Kurzfilme der legendären Filmemacherin. Zu sehen ist etwa „Visual Variations on Noguchi“, ein früher Film aus dem Jahr 1945, in dem Menken die Skulpturen des Künstlers Isamu Noguchi in dessen Studio mit der Handkamera abfilmt – damals eine noch nie gesehene Neuheit. Zehn Jahre später bearbeitete sie den Film noch einmal und fügte einen eindringlichen Soundtrack der Komponistin Lucia Dlugoszewski hinzu. Auch „Glimpse of the Garden“ ist zu sehen, einer ihrer bekanntesten Kurzfilme. Ein simples visuelles Gedicht von 1957, das Menkens Interesse an purer Visualität und einem essenziell weiblichen Blickwinkel repräsentiert – von zwitschernden Vögeln begleitet, gefilmt durch ein riesiges Vergrößerungsglas. Ein Film, für dessen Einfachheit Menken 1963 bei einer Vorführung in der Cinemathéque Française schlicht ausgelacht wurde. Avantgarde im besten Sinne. Heute ist der Film auf der Video-Internetplattform Youtube zu sehen – als Beispiel für einen Film, dessen unheimliche und fast unerträgliche Simplizität auch lange nach dem Ende der fünf Minuten seinen Nachhall findet. Allerdings nur „within the right kind of viewer“.ROBERT MATTHIES

Di, 6. 3., 19 Uhr, Metropolis, Dammtorstraße 30a