„Kein Rückfall in 80er-Rhetorik“

SPD und CDU haben sich auf ein Zwei-Säulen-Modell geeinigt. Schulpolitikerin Britta Ernst fordert im taz-Interview, die Reform nicht schlecht zu reden. Vor sozialer Spaltung zu warnen sei Unsinn und der Kompetenztest modernes pädagogisches Rüstzeug

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Frau Ernst, die SPD hat sich in der Schul-Enquetekommission mit der CDU auf ein Zwei-Säulen-Modell von Stadtteilschule und Gymnasien geeinigt. Was folgt praktisch draus?

Britta Ernst: Ich hoffe, die Bildungsbehörde beginnt zügig mit der Umsetzung. Wir brauchen jetzt eine regionale Schulentwicklungsplanung, die alle vor Ort mit einbezieht. So wird geklärt, welche Schulen oder Schulformen vor Ort sich zu Stadtteilschulen entwickeln. Alle Stadtteilschulen führen auch nach 13 Jahren zum Abitur. Daher werden Gymnasiallehrkräfte an die Schulen gehen und auch die beruflichen Gymnasien an diese Schule verlagert. Die Stadtteilschulen werden zum 1. August 2009 eingerichtet.

Was sagen Sie zur Angst, dass das Zwei-Säulen-Modell die soziale Spaltung vertieft?

Unsinn. Die Abschaffung der Hauptschule und die attraktive Ausstattung von Stadtteilschulen werden der sozialen Spaltung entgegenwirken. Mein Wunsch ist es, jetzt alle Energien in die Attraktivität der Stadtteilschulen zu stecken, statt diese wichtige Reform schlecht zu reden.

Derzeit gehen 50 Prozent aufs Gymnasium. Es gibt Stimmen, die sagen, es sollten nur 40 oder 30 Prozent sein, damit die zweite Säule Stadtteilschule stark genug ist. Wäre diese Umsteuerung auch Ihr Weg?

Wir stehen zum Recht der Eltern, nach Klasse vier Schule oder Schulform für ihre Kinder zu wählen. Politik sollte keine Prozente vorgeben, sondern über die Attraktivität der neuen Schulform überzeugen.

Eltern beklagen die hohe Belastung ihrer Kinder durch die Schulzeitverkürzung. Würde die SPD diese Belastung zurückführen? Oder würden Sie, wie die CDU es in ihrem Eckwertepapier andeutet, die neuen Nachteile des Gymnasiums nutzen, um mehr Kinder für die Stadtteilschule zu gewinnen?

Das ist mir zu sehr um die Ecke gedacht. Die Schulzeitverkürzung an den Gymnasien auf 12 Jahre ist richtig. Die Umsetzung ist jedoch eine Katastrophe. Eltern kompensieren dies durch große Unterstützung ihrer Kinder. Das muss sich ändern.

Die SPD ist für kompetenzorientierte Tests in Klasse vier. Was sollen die bewirken?

Erkenntnisse über die Stärken und Schwächen der Kinder bringen. Ich halte dies für normales modernes pädagogisches Rüstzeug. Die Kritik daran ist ein Rückfall in 80er-Jahre-Rhetorik.

Sie schreiben, diese Test sollten nicht zur Selektion dienen. Wie soll das gehen?

Wir haben uns dafür eingesetzt, die Empfehlung für die weiterführende Schulform abzuschaffen und durch eine fundierte Beratung zu ersetzen. Die CDU ist dem nicht gefolgt, es bleibt bei der Empfehlung. Dennoch entscheiden weiterhin die Eltern. Wenn wir könnten, würden wir die Empfehlung abschaffen.

Nach Klasse sechs soll die Abschulung vom Gymnasium möglich sein. Daran gibt es viel Kritik, auch Sie sprachen vor dem Elternverein von einem „Übel“. Wie verhindern Sie, dass Schüler darunter leiden?

Abschulen und Sitzenbleiben wird deutlich reduziert werden. Daher werden künftig weniger Kinder und Jugendliche betroffen, das ist ein Fortschritt. Wir schaffen es aber nicht, dies in einem Schritt ganz abzubauen. Schülerinnen und Schüler gut aufzunehmen und zu integrieren ist die Verantwortung der aufnehmenden Schule.

Sie haben sich mit der CDU darauf geeinigt, dass Gymnasien nur „im Einzelfall“ Stadtteilschule werden können. Was könnte sie dazu bewegen?

Die Überzeugung, dass eine integrierte Schule der richtige Weg ist. Der Mut, sich der Herausforderung einer heterogenen Schülerschaft zu stellen oder auch die Einsicht, nur so als Schule im Stadtteil dauerhaft eine Perspektive zu haben.

Gilt diese Aussage auch, wenn SPD und GAL koalieren?

Von dieser Auffassung wird die SPD nicht abrücken.

Sie sprechen von der Stadtteilschule als „ersten Schritt“ auf dem Weg zur Schule für alle. Wie wahrscheinlich ist es, dass ihm weitere Schritte folgen?

Die Empfehlungen der Enquete-Kommission bringen mehr Integration und weniger Schulformen. Abschulen und Sitzenbleiben wird reduziert. All dies sind konkrete Schritte auf dem Weg einer Schule für Alle, für die wir aber auch Zeit brauchen. Nach meiner Vorstellung sollten Stadtteilschulen und Gymnasien im Stadtteil eng kooperieren, um so die Grundlage für weitere Schritte zu legen. Ich hoffe auch, dass weitere Schulen den Beispielen der Max-Brauer-Schule oder der Gesamtschule Winterhude folgen, um zu zeigen, dass die Leistungsorientierung in integrierten Systemen nicht unter die Räder kommt. Dann bekommen wir die notwendige Akzeptanz.