berliner szenen Spätes Glück

Die Hochzeitsfrisur

Ich gehe ziemlich selten zum Friseur, bloß mal alle Jubeljahre zur Dauerwelle. Die würde ich mir auch selber machen, wenn ich nicht so lange Haare hätte. Nun sitze ich beim City-Friseur, habe diese Dauerwellwickler auf dem Kopf, die wie kleine Hundeknochen aussehen, und könnte mich schütteln, ich mag den Geruch der Wellflüssigkeit nicht. Da geht die Tür auf und eine alte Dame kommt herein, graues Haar hat sie schon, ist bestimmt längst Rentnerin. Sie grüßt so laut und fröhlich, lächelt so breit, dass es niemandem entgeht, nicht mal uns Kunden, die wir doch mit dem Rücken zu ihr sitzen. Die beiden neben mir beobachten sie auch im Spiegel, das sehe ich. Sie steht vor der Bedienung am Empfang, die fragt: „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich hätte gerne eine Hochzeitsfrisur!“, sagt die alte Dame, wieder so laut.

Aha, denk ich, ein spätes Glück, deswegen strahlt sie so. Die Frau am Empfang antwortet, das sei aber schön, da könne man ja bald gratulieren und so weiter. Wann sie denn gern den Termin hätte? „Sofort“, sagt die alte Dame und fragt noch, ob das denn ginge? Sei sofort etwas frei? Klar, ist es.

Kurz darauf sitzt sie mit uns in der Reihe, waschen, legen, trocknen. Sie liest aber nicht, sie lächelt bloß und guckt auf die Uhr. Einen Strauß hat sie nicht bei sich. Ob den der Bräutigam jetzt kauft? Was ist mit den Ringen, denke ich. Die passen doch nicht immer gleich. Oder gibt es Eheringe auch zum Zusammenbiegen, wie früher die Blechdinger in der Überraschungstüte? Die Frau grinst und schweigt, nur zum Schluss, beim Bezahlen, erklärt sie der Dame am Empfang und uns allen: „In meinem Alter hat man keine Zeit mehr zu verlieren!“

ANNETTE SCHWARZ