Bioplastik wickelt den Handel ein

Plastik aus Pflanzenstärke und Zucker kommt in Mode. Besonders in England und den Niederlanden wächst die Nachfrage nach Verpackung vom Acker. Diese lässt sich – anders als Produkte aus Erdöl – kompostieren oder klimaneutral verbrennen

VON DIERK JENSEN

Wenn etwas zu Ende geht, kommt etwas Neues. Manchmal schneller, manchmal langsamer. Diese Weisheit gilt sicherlich auch für Verpackungen, die aus Erdölderivaten hergestellt werden. Denn wenn das letzte Öl aus dem Hahn tropft, dann ist auch mit der schönen Verpackungswelt von heute endgültig Schluss: Folien, Beutel, Füllstoffe, Tüten, Füllschnipsel und Schalen aus Erdöl, ade.

Aber es gibt Alternativen. Eine Möglichkeit wäre, dass man Verpackung einfach isst. Über diese Just-in-Time-Entsorgung hat beispielsweise die Deutsche Bahn in den Neunzigerjahren ernsthaft nachgedacht. Die Bahn wollte Suppen in schmackhaften Terrinen servieren, die man wie einen trockenen Keks verzehren sollte. Die Idee hat sich jedoch weder im Speisesalon des ICE noch am Kiosk und auch nicht im Einzelhandel durchgesetzt.

Dafür gibt es jetzt aber Bioplastik vom Acker. „Auf einem Hektar Acker wächst so viel pflanzliche Biomasse heran, wie für die Produktion von zwei Tonnen Bioplastik nötig ist“, sagt Harald Käb vom Verband European Bioplastics, in dem Firmen der Verpackungsindustrie aus ganz Europa organisiert sind. Als Geschäftsführer des 2005 gegründeten Verbandes wirbt er bei Handel und Industrie für nichtfossile Verpackungen. Seine Vision: „Wir wollen, dass die Biotonne auf längere Sicht für unsere Produkte geöffnet wird, denn biologisch abbaubares, also kompostierbares Bioplastik gehört da rein.“ Bioplastik, das nach EU Norm EN 13432 zertifiziert ist, garantiert eine problemlose Kompostierung. Allerdings hat Käb generell auch gegen eine thermische Verwertung der Bioverpackungen nichts einzuwenden, da ja nicht mehr Kohlendioxid freigesetzt als auf dem Acker vorher gebunden wird.

Noch vor einigen Jahren nahm kaum jemand in Handel und Verpackungsindustrie die Bioplastikproduktion richtig ernst. Das hat sich grundlegend geändert, seit steigende Rohölpreise die Herstellungskosten von herkömmlichen Kunststoffen immer weiter nach oben treiben. „Wenngleich Bioplastik im Gesamtbetrieb immer noch ein zartes Pflänzchen ist, wächst dieses bei uns zweistellig“, verrät Jörg Söhngen, Vertriebsleiter der Firma Wentus aus Höxter, die unter anderen Folien herstellt. Noch stehe man allerdings am Anfang der Entwicklung. Weitere Forschungen im Bereich der Eigenschaftsparameter seien notwendig. Beispielsweise gebe es noch kein Bioplastik, das wasserdampfundurchlässig sei. „Es gibt noch viel zu tun, aber wir sehen in diesem Segment die Zukunft“, sagt Söhngen. Er setzt auf nachwachsende Verpackungsmaterialien, obwohl diese heute noch viermal so teuer wie herkömmliche Produkte sind.

Aber je mehr sich die Diskussion über die Ursachen des Klimawandels zuspitzt, desto öfter steht auch die Verpackungsherstellung auf dem Prüfstand. Setzen doch alle Verpackungen aus Erdöl im Gegensatz zur Konkurrenz vom Acker am Ende ihrer Lebenszeit klimaschädliches Kohlendioxid frei. Mit Bioplastik könnte sich die Verpackungswelt langfristig unabhängig von der globalen Erdölwirtschaft machen. Doch noch will sich der Handel nicht von der pflanzengesteuerten Idee einwickeln lassen. Zu teuer, lasse sich nicht im Markt durchsetzen, heißt es oftmals.

Trotz dieser Einwände sind nach Angaben von European Bioplastics im letzten Jahr 1.000 Tonnen in Deutschland in den Verkehr gekommen. Das ist allerdings nicht viel, wenn man bedenkt, dass in Deutschland 7 Millionen Tonnen Verpackungskunststoffe insgesamt anfielen. In ganz Europa wird ihre Menge auf 45 Millionen Tonnen geschätzt. Würde man diese komplett aus Kohlenhydraten, Zucker und sonstigen Komponenten vom Acker herstellen, müsste man dafür 22,5 Millionen Hektar Nutzpflanzen anbauen. Darum ist die Umstellung auf Bioplastik nur dann sinnvoll, wenn das heutige Verpackungsvolumen erheblich reduziert wird.

Doch das ist ein sehr theoretisches Ziel, das für die aktiven Pionierfirmen im Bereich der Bioplastik wenig relevant ist. So auch für die natura Verpackungs GmbH aus Rheine. Das kleine Unternehmen vertreibt Folien und Schalen, überwiegend hergestellt aus Mais und Zuckerrohr. Kunden sind Abpackvertriebe und Handelsunternehmen, vor allem im Biobereich. So beschickt natura auch den größten Biogroßhändler in den Niederlanden. „Die Holländer sind auf dem Gebiet sehr weit. Dort wird der Einsatz von Biokunststoffen gefördert“, weiß Thorsten von Schelve, leitender Mitarbeiter von natura. „Zwar finden die deutschen Ketten Biokunststoffe generell auch gut, doch scheitert der Einstieg oft am höheren Preis, da um jeden Cent gefeilscht wird“, so Schelve weiter. „Dabei ist unser Produkt teurer, weil es einfach mehr Wert hat.“

Letztere Erkenntnis scheint sich in England schneller als hierzulande durchzusetzen. Auf den Britischen Inseln ist die Nachfrage nach „Biokunststoffen“ deutlich höher. Der Händler, der mit Bioplastics verpackt, hat ein Image, das sich verkaufsfördernd auswirkt. „Da boomt es“, sagt Lobbyist Käb. Herausragendes Beispiel ist die Lebensmittelkette Sainsbury’s, die im Herbst 2006 erklärt hat, künftig 500 Produkte ihres Sortiments nur noch mit Bio einzupacken. Damit hat Sainsbury’s sicherlich nicht nur reichlich Endorphine bei Käb & Co. freigesetzt, sondern auch im Marketing mächtig gepunktet.

Apropos Punkt, genauer gesagt: grüner Punkt. Bioplastik ist nach der aktuellen Verpackungsverordnung von der Lizenzierungspflicht des grünen Punkts befreit. Der grüne Punkt kann darauf sein, muss aber nicht. Diese Privilegierung der Branche soll ihr den Marktzugang zum weiterhin vom Geiz zerfressenen Einzelhandel erleichtern.