Die Nivellierung der Effekte

OPER Die Premiere von „Idomeneo“ am Bremer Theater verhieß einen visuell radikal modernisierten Mozart – schließlich waren die Projektionskünstler von Urbanscreen für die Beleuchtung zuständig

Die Inszenierung wird zum traditionellen Schminkfest: Allerlei Leichen taumeln auf die Bühne

Es hätte ein Hit sein können: Urbanscreen macht „Idomeneo“, die Shooting Stars der jungen Projektionskunst-Szene möbeln eine Mozartoper auf. Die 2010 beim Wettbewerb des Art Director’s Club mit Silber ausgezeichneten Bremer sind bei der heimischen Mozart-Inszenierung für die visuelle Gestaltung inklusive Bühnenbau verantwortlich. Die Erwartungen waren entsprechend hoch.

Die Urbanscreener sind Pioniere des „Projection Mapping“: Durch minutiöse Vermessung von Fassaden können sie ihre Projektionen derart genau an die realen Objekte anpassen, dass beide miteinander zu verschmelzen scheinen. Dann können bloße Hände Museumsmauern eindrücken oder Ameisen ein Haus zerknabbern.

Die Idee lag also auf der Hand: Wer Häuser in vertikale Theaterbühnen verwandelt, kann auch originale Bühnen bespielen. Vielleicht könnten das die Urbanscreener tatsächlich – wenn man sie ließe.

Doch Regisseur Kay Kuntze lässt sie nicht. Er beharrt auf konventionellen Beleuchtungsmustern, während sich Urbanscreen tapfer müht, die Geschichte um trojanische Gefangene und verliebte Königskinder wenigstens visuell in die Gegenwart zu katapultieren, indem sie mit schlängelnden Linien und wandernden Kanten mehrdimensionale Gebilde schaffen.

Einige Sequenzen deuten an, was hätte sein können: Das Ringen des Königs Idomeneo mit seinem Oberpriester, der auf den Vollzug des den Göttern versprochenen Opfers beharrt – als das sich unpassenderweise der Königssohn erweist – ist mit den schwarzen Lichtrastern auch optisch eine starke Nummer. Nur: Wenn damit das Bühnenlicht konkurriert, nivellieren sich die Effekte.

Bei „Idomeneo“ arbeitet Urbanscreen erstmals in einem Innenraum, in den sie ein geometrisch wild mäanderndes Gebilde hineingestellt haben, das aussieht wie eines jener polywinkligen computer-animiertenTeile, die vor allem aus Konturen bestehen. Das taugt sowohl als Spieluntersatz als auch als Projektionsfläche.

Doch davon bleibt nach der Pause fast nichts. Traditionelles Bühnenlicht beherrscht die Szene, statt einer Steigerung der Mittel ist ein Spannungsabfall auf Normalnull zu erleben. Die Inszenierung wird zum traditionellen Schminkfest: Allerlei Leichen taumeln auf die Bühne, die Strafe der Götter für das ausbleibende Opfer.

Gewiss – das Orchester liefert weiterhin eine Qualität, über die man sich nur freuen kann. Die Bremer PhilharmonikerInnen sind unter ihrem Generalmusikdirektor Markus Poschner derart souverän geworden, dass sie sich bei „Idomeneo“ für einen sehr unaufdringlichen Mozart-Sound entscheiden konnten.

Weiterhin sind wunderbare Stimmen zu bestaunen, besonders Nadja Stefanoff als Opferlamm Idamanate besticht mit einem Sopran, der Kern und Leichtigkeit vereint.

Was aber hätte neu sein können, die Mehrdimensionalität von Licht, das Schaffen verblüffender Räume und deren Verschmelzung mit der Bühne, kurz: das innovative Genre „virtuelles Bühnenbild“ – ist schlichtweg ausgeknipst.

HENNING BLEYL

Weitere Vorstellungen: 2., 7., 9. und 12. April, jeweils 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz, Bremen