Bilder aus der Welt hinterm Zaun

POLITISCHE KUNST Eine Ausstellung zeigt den zeichnerischen Dialog, den SchülerInnen und Abschiebehäftlinge geführt haben

„Mit Zeichnungen lassen sich Sprachbarrieren überwinden“

MATTIA BIER

Ein Mann reitet im Galopp auf einem Pferd. Die Arme hat er zum Himmel ausgestreckt, direkt über ihm fliegt ein Adler. Reiter und Adler strahlen Kraft und Stärke aus.

„Was ist für dich Glück?“, haben SchülerInnen Menschen im Abschiebeknast in Köpenick gefragt. Die Zeichnung mit dem Adler ist die gemalte Antwort eines Häftlings aus der Mongolei. Sie ist Teil der Ausstellung „Außen-/ Innenansichten“, die die Galerie im Kurt-Schumacher-Haus seit vergangenem Freitag zeigt.

Ins Leben gerufen hat das Projekt Mattia Bier. Die Künstlerin engagiert sich seit 2009 für Abschiebehäftlinge. Durch einen Bekannten, der selbst im Abschiebeknast saß, sei sie auf das Thema aufmerksam geworden, erzählt sie. „Je mehr ich darüber erfahren habe, desto erschrockener wurde ich.“ Die Situation von Menschen im Abschiebegewahrsam sei den meisten BürgerInnen nahezu unbekannt. Vor allem Jugendliche hätten keinerlei Vorstellung vom Alltag der Inhaftierten.

Also versuchte Bier, das Thema in ihr Medium zu übersetzen: „Mit Zeichnungen lassen sich Sprachbarrieren überwinden“, erklärt die Künstlerin. Durch Bilder brachte sie SchülerInnen der Sophie-Brahe-Schule in Plänterwald und des Gebrüder-Montgolfier-Gymnasiums in Johannisthal ins Gespräch mit Abschiebehäftlingen.

Mehr als dreieinhalb Monate beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Thema. Ihre Fragen und Ideen setzten sie in Bilder um, Antworten bekamen sie von den Inhaftierten ebenfalls in Bildform zurück. Zu Beginn stand natürlich die Frage „Wer bist du?“ im Vordergrund. Das wollten auch die Inhaftierten von den Projektteilnehmern wissen. Gegenseitiges Interesse, Neugierde und eine gute Portion Vertrauen hätten aus dem Projekt zwischenmenschliche Begegnungen werden lassen, sagt Bier.

„Wie fühlst du dich?“ – „Wovor hast du Angst?“ – „Wie lebst du?“, „Was ist Glück?“, lauter Fragen, die es aufzuzeichnen galt. „Ich kann viel erfahren und entdecken, auch wie ich meine Gefühle ausdrücken kann“, berichtet eine Schülerin. „Das, was mich bewegt, zeichne ich einfach, ohne dass es mir peinlich ist.“ Bier brachte zweimal in der Woche Zeichnungen in den Abschiebegewahrsam und kam mit anderen Zeichnungen heraus.

Nicht nur die Jugendlichen seien sehr offen und neugierig gewesen, erzählt die Künstlerin, auch die Häftlinge hätten viele Fragen zu alltäglichen Dingen und dem Leben der SchülerInnen gehabt. Gerade der reglementierte Alltag der Häftlinge sei für das Projekt mitbestimmend gewesen, so Bier. „Das hat den Jugendlichen die Realität der Inhaftierten vergegenwärtigt.“ Zu dieser Realität gehört auch eine Verdinglichung, die die Häftlinge erleben. „Sie werden als Fälle bezeichnet und mit ihren Häftlingsnummern angesprochen“, erklärt Bier.

Bei der Gestaltung der Ausstellung hat sie versucht, diese Entpersonalisierung sichtbar zu machen. An einer der Wände hängen zahlreiche Puzzles. Auf jedem ist das Porträt einer SchülerIn zu sehen, darunter befindet sich die Häftlingsnummer eines der Insassen.

Dokumentiert ist auch ein Gespräch, das die SchülerInnen mit dem stellvertretenden Leiter des Abschiebegewahrsams, Hans-Jürgen Schildt, führten. Dabei stellt ein Schüler fest: „Es sieht aus wie ein Gefängnis, mit dicken Wänden und Stacheldraht. Die Leute sind eingeschlossen.“ Schildt widerspricht: „Wir sind kein Gefängnis, obwohl es so aussieht und die Leute, die bei uns sitzen, es so empfinden.“ Diese Menschen hätten keine Straftat begangen, sondern „nur eines falsch gemacht: Sie haben keine Aufenthaltserlaubnis.“

Gegen Ende des Projekts genehmigte Schildt den Jugendlichen ein Gespräch mit den Insassen. Dadurch seien aus dem zunächst anonymen Bilderaustausch echte menschliche Begegnungen entstanden, sagt Mattia Bier. MARIE-CLAUDE BIANCO

■ „Außen-/Innenansichten“, Galerie im Kurt-Schumacher-Haus, Müllerstraße 163, noch bis 15. April, 14 bis 18 Uhr. Vortragsabende mit Diskussion: heute, 19 Uhr: „Warten müssen … aufbewahrt sein“, Do., 7. April, 19 Uhr: „Kunst und KünstlerInnen als politische Mittler“