berliner szenen Der Plattenhändler

Überbewertet

„Johnny Cash ist total überbewertet!“. Sie liebt es, diesen Satz zu sagen. Der Plattenhändler lächelt bloß. Er lässt CD-Hüllen durch seine Finger gleiten und zieht einige aus der kleinen ranzigen Pappkiste, die auf dem Ladentresen steht. „Eigentlich such ich hier gar nichts. Wenn ich so rumwühle, nutze ich die Zeit eher zum Nachdenken über verschiedene Theorien“, sagt er und will ein Gespräch anfangen, sich eine Zigarette ohne Filter drehen und ein Weizen einschenken. Dabei bleibt etwas Bier in der Flasche.

Sie sieht den Jungs an den Probehör-Plattenspielern dabei zu, wie sie mit mächtig vielen Gesten versuchen zu scratchen. Der Kollege des Plattenhändlers sieht das auch. Auf Englisch schreit er sie an, sie sollen sich aus seinem Laden verpissen. Die Jungs sind erschrocken und entschuldigen sich. Er schreit weiter, zeigt zur Tür. Langsam zündet sich der Plattenhändler die Zigarette an, und seine langen Haare fallen dabei um sein Gesicht. Die Jungs gehen aus dem Laden. Dabei will einer von ihnen die Platte eigentlich kaufen, doch der Kollege schreit: „No!“

„Jedenfalls versuch ich gerade rauszubekommen, ob Frauen und Männer aus verschiedenen Gründen Musiker werden wollen. Darüber denk ich gerade viel nach.“ Setzt der Plattenhändler an und gießt den Rest aus der Flasche nach. Er wartet auf eine Antwort von ihr, ohne sie dabei anzuschauen.

„Das geht echt zu weit. Ich mein, spinnen die. So können die doch nicht mit den Platten umgehen!“, sagt der Kollege, während die Röte aus seinem Gesicht langsam verschwindet. Sie weiß nicht recht, was sie auf die Frage nach Männern und Frauen antworten soll. „Also naja, der größte Hit von Johnny Cash wurde ja von seiner Frau geschrieben“, sagt sie dann. LAURA EWERT