„Aus dem Fell der Kamele und Yaks“

Filz und Farbe. Ein Gespräch mit der Filmemacherin Ulrike Ottinger über die Ausstellung „Abgesteppt – Mode made in Mongolia“ in der ifa-Galerie

INTERVIEW CLAUDIA LENSSEN

Die ifa-Galerie zeigt Kleidermodelle der mongolischen Modeszene, die auf traditionelle Elemente zurückgreifen. Fotografien von Jens Rötzsch geben Einblick ins mongolische Alltagsleben. Die Berliner Regisseurin und Fotografin Ulrike Ottinger bereiste die Mongolei und drehte dort ihre Filme „Johanna d’Arc of Mongolia“ (1989) und „Taiga“ (1992).

taz: Frau Ottinger, überrascht es Sie, dass die mongolische Hauptstadt Ulanbataar eine Designerschule, mehrere Ateliers und eine Modelagentur besitzt?

Ulrike Ottinger: Nein, die jungen Leute wollen raus und die Welt bereisen. Das ist selbstverständlich, wenn man diese wenig schöne Stadt kennt. Die Kleiderschnitte sind eher westlich, aber ich finde viele Elemente wieder, die mich an die Nomaden erinnern. Ich war bei Stämmen, die ihre Gewänder und Filzstiefel noch selbst hergestellt haben. Auch den Schmuck, zum Beispiel Korallen- und Silberknöpfe, stellen sie mit einfachsten Mitteln selbst her. Bei den Nomadenfrauen ist Nähen ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Baumwollstoffe, meist Seidenstoffe in den klassischen Farben, werden gehandelt. Es gibt eine uralte Tauschtradition mit China, wo Heilpflanzen wie Ginseng, Geweihe und Felle gegen Stoffe getauscht wurden. Das Nähen geht von Hand oder mit einer kleinen Singer-Nähmaschine mit Kurbel, die man in den Jurten auf den Boden stellen kann.

Gibt es typisch mongolische Materialien?

Die Gewänder sind meist mehrlagig gesteppt oder mit Filz gefüttert, weil es sehr kalt ist. Filz wird aus dem Fell der Kamele und Yaks gemacht. Man wässert die Wolle auf einer Unterlage, rollt sie um einen Stab und zieht sie lange hinter den Pferden her. Es gibt Theorien, wonach das Rad bei der Filzherstellung erfunden wurde. Man färbt mit Naturfarben, und vor allem wird alles verziert. Die ornamentalen Muster kehren auch auf den Knochenschnitzereien, auf bemalten Holztruhen oder Teeschalen wieder. Ich habe in Jurten gewohnt, wo ich die Arbeit an den berühmten Filzstiefeln über Monate mitbekommen habe. Auch die werden mit dekorativen und farblich sehr klaren Applikationen verziert.

Welche Farben sind traditionell?

Grün wird gern mit Orange getragen, Blau mit Gelb oder Rot mit Grün. So wird ein Deel farblich kombiniert, das ist das Gewand, das im Winter wunderbar Wärme gibt. Die Filze sind wasserdicht, weil sie das Wollfett in sich tragen. Sie werden übrigens auch gepresst und verschiedenfarbig zu Mustern zusammengebracht. Die Jurtentüren waren früher sehr oft aus solchen Filzen gemacht, genau wie der sehr schön gestaltete und verzierte Filzkragen des Rauchfangs oben im Jurtendach, den man zuziehen kann. Der hat als Verbindung zwischen Himmel und Erde und als Durchgang des Opferrauchs auch eine rituelle Bedeutung.

Man sieht in der Ausstellung durchbrochene Filzkleider, die viel Haut zeigen. Glauben Sie, dass es die traditionelle Verwendung von Filz heute noch gibt?

Es hat sich viel verändert in den letzten 15 Jahren. Zuletzt war ich 1992 bei den Bergnomaden der nördlichen Mongolei für meinen Film „Taiga“. Ich weiß von einer Ethnologin, dass das nur mühsam mit Pferden erreichbare Hochtal, in dem wir gedreht haben, inzwischen eine Autopiste hat und dass es Handel und neuerdings sogar Post gibt. Ob es Fernsehen gibt, weiß ich nicht, das hängt vom Strom ab. Vielleicht gibt es das bei den Seminomaden, die im Winter in Blockhütten ziehen. Damals gab es auch keine Satellitentelefone, man war abgeschnitten.

In „Johanna d’Arc of Mongolia“ kommt eine Amazonenprinzessin vor. War das pure Fiktion?

Zum Teil. Als die Mongolen noch sehr kriegerisch waren, blieben die Männer oft Monate und Jahre weg. Die Frauen dort sind einfach sehr selbstständig und haben Rechte. Es war nicht so, dass der Sozialismus dort die Frauenbefreiung hingebracht hätte. Üblich war zum Beispiel, dass eine Frau ihre Brüder heiratete oder dass sie mit Gästen schlief. Kinder aus solchen Beziehungen sind sehr erwünscht. Ein Kind oder mehrere Kinder von verschiedenen Vätern zu haben, machte die jungen Frauen umso begehrenswerter zur Heirat. Die Konventionen der Sowjetunion waren für die Nomadengesellschaft im Grunde eine Katastrophe, weil auf ihre jahrtausendealten Lebensbedingungen keine Rücksicht genommen wurde.

Was trägt ein Schamane?

Das Schamanengewand wird nach inneren Visionen im Austausch mit den Ahnengeistern und Fantasien selbst gestaltet. Es wird vorbereitet zum Ritual. Die Ärmel sind zum Beispiel zugebunden, die Stiefel auch, damit keine bösen Geister hereinkommen. Beim Öffnen werden sie mit Taiga-Weihrauch, einer Art Wacholder, gereinigt. In der Regel tritt ein Schamane oder eine Schamanin mit den Ahnen- und Erdgeistern in Dialog, erst danach wird das Gewand angezogen. Die langen verzierten Schnüre, die sie tragen, sind gleichzeitig Gebetsketten oder erinnern wie Memory Balls an existenzielle Ereignisse. Manche tragen auch einen Spiegel auf der Brust oder Ahnenpüppchen auf dem Rücken. Beim Ritual werden die Jurtenaltäre geöffnet, und dann werden Tieropfer dargebracht.

Den Glücksknoten findet man in der Ausstellung wieder.

Ja, man sieht die Inspirationsquellen der Designerinnen. Der Knoten ist ein verschränktes Zopfgebilde auf der Mütze, das Glück bringen soll. Andere Elemente sind verschlungene Applikationen oder lange Bänder an den hohen, fast auf der Stirn getragenen Kappen. Auch die Ärmel, die eng eingesetzt sind und nach unten weiter werden, gehören in die Tradition. Ein Mongole streicht bei ankommendem Besuch zuerst die langen Ärmel seines Deel-Gewands herunter, weil die Begrüßung mit entblößten Arbeitshänden als unfein gilt. Manchmal reichen die Ärmel bei der Begrüßungsverbeugung bis zum Boden.

Bis 25. 3., ifa-Galerie, Linienstr. 139/140, Di.–So. 14–19 Uhr