Nur einer will noch länger strahlen

ENERGIE-DEBATTE Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung debattierten Jens Böhrnsen, BUND-Vorstand Helmut Horn und Alexander Nolden vom RWE-Konzern über Chancen und Risiken des Abschaltens

„Wir kämpfen mit Argumenten, aber wir kriegen das nicht mehr gedreht“

Alexander Nolden, Energie-Chef bei RWE

Moderator Christoph Sodemann trieb offenbar die Angst um, sein Publikum wüsste nicht, mit wem es zu tun hatte. Also klärte er auf. „Sie sind ja sowas wie ein Atomlobbyist“, begrüßte er Alexander Nolden, den Chef der Konzernsparte Energieerzeugung des Atomkonzerns RWE am Montag im Haus der Wissenschaft.

Der Berufsstand des Atomlobbyisten rangiert derzeit in der öffentlichen Beliebtheit wohl noch weit hinter dem des Putenmästers oder Bahnmanagers; trotzdem war Nolden einer Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung nach Bremen gefolgt. „Abschalten und Licht aus? Über die Sicherheit und Notwendigkeit der Atomenergie“ hatte die den Abend genannt, und über 100 Zuschauer wollten hören, was Nolden und die Atomkraftgegner Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und Physik-Professor Helmut Horn vom BUND-Bundesvorstand zu sagen hatten.

Nolden schwante, dass für ihn im Moment nicht viel holen ist. „Wir kämpfen mit Argumenten, aber wir kriegen das nicht mehr gedreht“, sagt er über die Atom-Diskussionen der letzten Wochen.

Doch weil das sein Job ist, versucht er es trotzdem noch mal. „Keiner redet mehr vom Klimaschutz. Neulich war das noch das Thema Nummer eins, jetzt ist es total hinten runtergefallen.“ Aber nicht nur deshalb sei das Moratorium zweifelhaft. „Die Bundesregierung hat sehr überstürzt gehandelt und keinen Gedanken an die Energieversorgung verschwendet“, sagt er. Sein Unternehmen jedenfalls prüfe eine Klage gegen die Schnellabschaltung. „Schließlich sind wir dem Schutz unserer Eigentümer verpflichtet.“

Das bringt das Publikum auf. „Soll das heißen, dass Sie dem Schutz ihrer Aktionäre stärker verpflichtet sind, als der Allgemeinheit?“, fragt ein älterer Mann. Als eine Zuschauerin zu bedenken gibt, mit dem Atomkraft-Stopp gehe Deutschland mit gutem Beispiel voran, widerspricht Nolden.

„Das klingt für mich wie: ‚Am deutschen Wesen soll die Welt genesen‘“, sagt er. Deutschland stehe „weltweit völlig isoliert da“. In Volkswirtschaften wie Indien und China, die den „Wohlstand nachholen wollen“, werde das Thema „ganz anders diskutiert“, sagt der Energiemanager. „Wir importieren jetzt wie bekloppt Strom aus Frankreich, die Kohlekraftwerke laufen länger, es wird schwieriger, die CO2-Emissionsziele zu erreichen“.

Der Physiker Otfried Schumacher meldet sich zu Wort. Seit Jahrzehnten begutachtet er für die Bundesregierung die Sicherheit deutscher AKW. „Das Erste, was ich als Student gelernt habe, als ich vor 35 Jahren nach Bremen gekommen bin, war, dass es Grenzen des Wachstums gibt“, sagt er. Die Zuhörer klatschen, Nolden wiegt den Kopf. „Ein neues Wohlstandsmodell?“ Da sei er „skeptisch“. Im Publikum fallen die Sympathiewerte weiter. Für Böhrnsen ist die Lage da wesentlich kommoder. „Wir sind von sechs AKW umzingelt wie keine andere deutsche Großstadt“, sagte er. Die Laufzeitverlängerung habe „die Bedrohung Bremens verlängert“.

Bremen – wie alle Bundesländer – dabei nicht gefragt zu haben, sei ein „schwerer verfassungsrechtlicher Fehler“ Merkels gewesen, das nun beschlossene Laufzeit-Moratorium „ein schlechter Witz“, fand Böhrnsen. „Ich frage mich, was uns am 10. Juni, wenn das Moratorium ausläuft, erwartet. Kommt dann jemand und sagt, es ist ethisch vertretbar, und die Dinger werden wieder eingeschaltet?“

Wenn die CDU nun, nach dem Unglück in Fukushima, anfangen wolle zu diskutieren, ob Atomkraft zu gefährlich sei, dann habe sie „den Schuss nicht gehört“, sagte Böhrnsen. „Das diskutieren wir seit 35 Jahren.“ Die Berufung von Ralf Fücks, dem aus Bremen stammenden Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Angela Merkels Atom-Ethikkommission mache die Sache keineswegs besser: „Ich hoffe, Ralf Fücks macht dabei nicht mit.“ CHRISTIAN JAKOB