Versunken im Gitarrenrauschen

SPARTENMUSIK Seefeel machen seit 17 Jahren vielschichtigen, verlangsamten Techno mit echten Instrumenten. Immer noch finden sie zu wenig Zuhörer

Manchmal zweifelt man an seinem eigenen Minderheitengeschmack. Beziehungsweise: an seinem Geschmack zweifelt man nicht, eher daran, dass er der Geschmack einer Minderheit sein soll. Ein altbekanntes Problem, das man fast vergessen haben konnte, galt doch längst das Verdikt vom Mainstream, der ein Patchwork aus Minderheiten sein soll. Aber dass so wenige kommen? Am Montagabend in den Postbahnhof? Das war schon erstaunlich. Bedenklich. Beschämend.

Lagerweise Halleffekte

Klar, es müssen nicht alle gut finden, was man selbst gut findet, wirklich nicht. Aber eine Band wie Seefeel, die so interessante, gute, im Wortsinn vielschichtige Musik macht, hat ein paar mehr Zuhörende verdient. Oder eine andere Location – der Comet Club wäre der rechte Ort gewesen. Dort wäre der Eindruck von Fülle entstanden, hier im Postbahnhof verlor man sich.

Sicher, Seefeel aus London machen Spartenmusik, und neu ist die Band auch nicht unbedingt. Auch die Art von Musik, die, sagen wir, Ambient heißt, ist auch nicht eine, die Massen anzieht, weil sie nichts weiter verspricht als meditative Versenkung. Ein wenig Psychedelik, das Aufeinandertreffen schmerzhafter, neuer Maschinengeräusche mit stumpfer Rhythmik, hypnotischer Sirenengesang, aus Jamaika importierte Dubs, lagerweise Halleffekte und, tatsächlich, Gitarren, die klingen wie, man verzeihe den militärischen Vergleich, mehrere vom Boden aus dirigierte 1.000-Bomber-Staffeln. Genau diese Musik machen Seefeel. Musik für Absencen. Schleifenmusik. In der neuesten Version – ihre aktuelle Platte „Seefeel“ ist soeben beim Label Warp Records erschienen – wird das mit allerlei brachialem Geschnipsel, also abgeschnittenen, raspelig klingenden Soundfragmenten konterkariert.

Anfang der neunziger Jahre traten Seefeel zum ersten Mal via Too Pure Records auf den Plan. Die Idee hinter der Band muss ungefähr diese gewesen sein: Techno, möglichst langsam gespielt, und zwar mit echten Instrumenten. Die Bassläufe sagten: Dub. Die Gitarren rauschten wie die Niagarafälle. Seefeel haben mit dieser Idee leider nicht wirklich Musikgeschichte geschrieben – obwohl sie es waren, die das Zusammengehen von Noise und Psychedelik, Shoegaze und Dance, wie es zum Beispiel von My Bloody Valentine entwickelt wurde, in Richtung elektronischer, also: in Richtung Ambient Music weitergedacht und -gespielt haben.

Energische Grundnote

Sarah Peacock und Mark Clifford sind von der ursprünglichen Formation geblieben. Aus der Frühphase haben sie immer noch Stücke im Set – das unvergleichliche „Time to Find Me“ und manches von ihrem Debüt „Quique“. Nach einer zweiten LP, die schon auf Warp erschien, und einer verlorenen Mini-LP auf Rephlex verschwand die Band im Weltall. Jetzt ist sie mit neuer Rhythmusfraktion wieder im Orbit aufgetaucht.

Und wie. Bassist Shigeru Ishihara, auch als DJ Scotch Egg bekannt, und der Ex-Boredoms-Schlagzeuger Iida Kazuhisa (E-Da) geben dem Sound der Band Drive und Härte und fügen auf der Bühne der englisch reservierten Art der anderen beiden eine energische Gegennote hinzu.

Vielschichtige Musik, hieß es eingangs. Damit sind nicht nur die Sounds gemeint, sondern auch die Wirkungen. Für die man, das spürte man unter den ungefähr 50 anderen Menschen am Montag, auch keine Drogen mehr braucht (anders als in den neunziger Jahren). Seefeel machen kalte Musik, hypnotische, ätherische Musik, warme Musik. Repetitive Musik, natürlich. Musik, die 1994 schon sehr neu war und es 2011 immer noch ist. Da sollen 17 Jahre vergangen sein? Niemals. RENÈ HAMANN