Der Wiederholungstäter

SCHWIMM-EM Paul Biedermann verzockt sich über 400 Meter Freistil und scheidet im Vorlauf aus

BERLIN taz | Am Montagmorgen um zehn vor zehn war die Welt noch in Ordnung für Paul Biedermann. In seinem Vorlauf über 400 Meter Freistil war er Dritter geworden, ein Rennen stand noch aus. „Es hat Spaß gemacht“, sagte der Weltrekordhalter – und war der Meinung, taktisch alles richtig gemacht zu haben. Um fünf vor zehn am Montagmorgen hatte die Schwimmerwelt des Paul Biedermann allerdings den nächsten dicken Kratzer abbekommen. Im letzten Vorlauf über die acht Bahnen Kraul waren sechs weitere Konkurrenten schneller gewesen als er. Was für den wandschrankgroßen Hallenser bedeutete: Rang neun, Finale verpasst, wie schon bei den Olympischen Spielen vor zwei Jahren.

Als ihn die unerfreuliche Botschaft erreichte, machte Biedermann ein langes Gesicht – und marschierte dann ohne weiteren Kommentar davon. Schon bei der hässlichen Blaupause für das jetzige Aus, bei der Fünf-Ringe-Show an der Themse, hatten sich der Doppelweltmeister von 2009 und sein Heimtrainer Frank Embacher bei der Renneinteilung verzockt, und auch diesmal fielen die ersten Analysen ähnlich aus. „Ich bin selber schuld, ich hab’ das Rennen falsch eingeschätzt“, ließ der früh gescheiterte Schwimmer später ausrichten. Und dass er sich jetzt auf die 200 Meter konzentrieren wolle, über die am Dienstag die Vorläufe und Halbfinals anstehen.

Biedermann, der nach den enttäuschenden London-Spielen wegen eines verschleppten Infekts eine neunmonatige Wettkampfpause einlegen musste, die WM 2013 strich und auch in diesem Sommer wieder drei Wochen krankheitsbedingt ausfiel, hatte sich vor dem EM selbst als „kleine Wundertüte“ bezeichnet. Jetzt ist die Wundertüte erst einmal geplatzt – was Henning Lambertz zumindest als eine Teilbegründung für den gestrigen Fehlstart akzeptierte.

Der Chefbundestrainer jedenfalls ortete „eine Mixtur aus beidem“ – aus Biedermanns Zweifeln am eigenen Fitnesszustand, aber auch aus dem Umstand, dass da zwei Wiederholungstäter am Werk gewesen waren. „Gefühlt war es so, dass der vorletzte von der Besetzung her der etwas stärkere Vorlauf war – wie es auch sein Trainer Frank Embacher angemerkt hat. Aber das war am Ende gar nicht so, der letzte Lauf war überragend stark. Und Paul hat sich ein bisschen verschätzt“, betonte Lambertz.

Gegenüber dem Ungarn Gergo Kis, der in seinem Vorlauf geschwommen war, hatte Biedermann als Neunter letztlich um sieben Hundertstelsekunden das Nachsehen. „Das ist ein bisschen ärgerlich, aber keine absolute Katastrophe“, erklärte der zuständige Cheftrainer, dem Biedermanns Unfall nach einer Reihe positiver Ergebnisse am ersten Vormittag nicht so recht in den Kram passte. Henning Lambertz ist schließlich der Mann, der die deutsche Schwimmerei wieder nach vorne bringen soll – und gute Laune zu verbreiten, zählt in der schwierigen Phase des Neuaufbaus zu einem der wichtigsten taktischen Mittel des 43-Jährigen.

Deshalb schwenkte der gebürtige Neusser auch schnell auf die aus der Biedermann-Ecke vorgeschlagene Therapielinie ein, indem er vorsichtig feststellte: „Das kleine Positive, das er mitnehmen kann, ist, dass er am ersten Tag keine Doppelbelastung hat. Jetzt kann er alle Körner in die 200 Meter Freistil legen und da Vollgas geben.“

Frank Embacher erläuterte: „Der Grund, warum wir ihn für die 400 Meter Freistil gemeldet haben, waren die fehlenden Wettkampfkilometer und die fehlende Sicherheit.“ An Zuversicht dürfte sein Schützling aber durch den Auftritt am Montagmorgen kaum gewonnen haben. Embacher beschränkte sich für den weiteren EM-Verlauf fürs Erste auf die vage Prognose: „Das Positive ist, dass alle Parameter zeigen – da geht noch was.“

So dürfte das auch Yannick Agnel sehen. Der französische Olympiasieger über 200 Meter Freistil verpasste das Finale über die doppelte Distanz ebenfalls, schied als Elfter nach den Vorläufen aus. „Die geschwommenen Zeiten waren kein Hexenwerk – und von ihm war das kein Meisterstück. Das wird er auch so sehen“, versetzte sich Henning Lambertz in Agnels Lage und mutmaßte über die zwei gestrauchelten Kraul-Größen: „Die beiden werden auf eine Wiedergutmachung über die 200 Meter Freistil jetzt sehr erpicht sein.“

ANDREAS MORBACH