Kampf der Konzepte

STRESSTEST Die Reaktorsicherheitskommission (RSK), ein ehrenamtliches Gremium, in dem Wissenschaftler, TÜV-Experten, aber auch Atombefürworter der Energiekonzerne sitzen, bestimmt, wie die Meiler getestet werden. Die 16 Experten sind noch uneins

In den bis Moratoriumsende verbleibenden zweieinhalb Monaten 17 Meiler zu prüfen, ist ein anspruchsvolles Vorhaben

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

Jetzt setzt sich plötzlich die FDP an die Spitze der Anti-AKW-Bewegung. Generalsekretär Lindner sprach sich am Dienstag für eine sofortige Vereinbarung mit der Atomindustrie aus, in der verbindlich festgelegt wird, dass die acht abgeschalteten Altmeiler für immer stillgelegt werden. Diese 180-Grad-Wende der traditionell atomfreundlichen FDP stieß auf Kritik in den eigenen Reihen, und sie zeigt, wie nervös die schwarz-gelbe Regierung ist. Und wie verschieden die Vorstellungen darüber sind, was nach dem von Merkel durchgesetzten Moratorium passieren soll.

Juristisch ist der Beschluss, auf Basis des Atomgesetzes Meiler vorübergehend abzuschalten, äußerst fragwürdig. Die Regierung „habe offensichtlich keine Rechtsgrundlage für das Moratorium“, sagt der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier (siehe Interview). Und auch sonst sind viele Fragen offen. Eine entscheidende lautet: Wie soll die Überprüfung der Meiler ablaufen?

Die Antwort ist höchst relevant, denn das Ergebnis wird die Politik von Schwarz-Gelb und den öffentlichen Diskurs maßgeblich bestimmen. Wie die Prüfung ablaufen wird, entscheidet die Reaktorsicherheitskommission (RSK), ein ehrenamtliches Gremium, in dem Wissenschaftler, TÜV-Experten, aber auch Atombefürworter der Energiekonzerne sitzen und das das Bundesumweltministerium in Sachen Reaktorsicherheit berät. Morgen findet ihre entscheidende Sitzung statt, noch in dieser Woche soll das Prozedere festklopft werden.

Nach taz-Informationen sind sich die 16 Experten jedoch keineswegs einig. Die einen wollen eine windelweiche, offen angelegte Prüfung, in der die Unternehmen die Sicherheit ihrer Kernkraftwerke herausstreichen könnten. Die andere wollen die vier großen AKW-Betreiber RWE, EnBW, Eon und Vattenfall mit einem neuen Anforderungskatalog konfrontieren, der das Aus für viele Meiler bedeuten könnte. Es ist ein Kampf um Konzepte, der kurz vor der offiziellen Verkündung des Plans durch RSK und Bundesregierung stattfindet.

Das atomfreundliche Szenario sieht so aus: Die RSK beschließt eine Liste von Themen, die für die Reaktorsicherheit relevant sind, zu denen die Betreiberfirmen Informationen liefern müssten. Dazu gehören zum Beispiel Erdbeben/Hochwasser, terroristische Einwirkungen, Station Blackout – also der Stromausfall in AKWs – oder Flugzeugabstürze. Eines beinhaltet diese Variante jedoch nicht – einen neuen Anforderungskatalog für deutsche Reaktoren. Die Messlatte bei der Sicherheit bliebe also die gleiche.

Das andere Szenario sieht eine für die Konzerne schmerzhafte Neubewertung vor. Wie es aussehen könnte, skizziert ein internes Papier aus dem Umweltministerium, das die Abteilung Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen verfasst hat. In den Vorschlägen, die kurz nach der Katastrophe in Japan Mitte März öffentlich wurden, heißt es etwa: Erdbeben- und Hochwasserauslegung müssten kurzfristig neu berechnet werden. Das könnte das von EnBW betriebene AKW Philippsburg 2 betreffen, das im Rheingraben, Deutschlands aktivstem Erdbebengebiet, liegt. Außerdem schlagen die Experten umfassende Nachrüstungen vor, etwa „verbunkerte Notsteuerstellen“ oder stärker geschützte und aufgerüstete Notstromanlagen. Keiner der 17 Reaktoren in Deutschland erfüllt diese Kriterien, nach Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe wären milliardenschwere Umbauten nötig. Die Betreiber müssten nach solch einer Prüfung wahrscheinlich die meisten Meiler abschalten – aus Rentabilitätsgründen.

Die Unternehmen äußern sich derzeit nur wortkarg zum Moratorium und zu den anstehenden Prüfungen. „Wir lassen den Bescheid derzeit juristisch prüfen“, sagte eine EnBW-Sprecherin gestern. Dann werde über das weitere Vorgehen entschieden. Fast wortgleich äußerten sich auf taz-Anfrage Sprecher der AKW-Betreiber RWE und Eon. Alle vermeiden penibel das Wort „Klage“. Dennoch ist von Insidern in den Unternehmen zu erfahren, dass die Juristen auch Klagen gegen das Moratorium und Schadensersatzforderungen erwägen.

Schließlich kostet die Konzerne jeder Tag, den ein AKW keinen Strom produziert, viel Geld. In Analystenkreisen hört man vor allem diese Berechnungen: Pro Block und Tag entgeht dem Unternehmen ein Umsatz von 1 Million Euro, im Monat sinkt das Betriebsergebnis also pro Block um rund 30 Millionen Euro.

Eine dreimonatige Stilllegung von Biblis A und B würde den Konzern RWE also beispielsweise um einen Umsatz von 180 Millionen Euro bringen – wobei ein Block des Kraftwerks derzeit allerdings nicht arbeitet und erst Ende Mai wieder hochgefahren werden soll.

In den Unternehmen wartet man nun auf die Ansage der RSK. Und sieht das Vorgehen der Bundesregierung kritisch. „Es entsteht schon der Eindruck, dass da Chaos herrscht“, kommentiert ein Vattenfall-Insider. „Bisher ist noch nicht klar, was wie geprüft werden soll. Dabei hätte sich die Regierung beispielsweise auch in der EU oder international für gemeinsame Standards einsetzen können.“ Und eine Sprecherin von RWE sagt: „Der Zeitplan ist extrem ehrgeizig.“ In den bis Moratoriumsende verbleibenden zweieinhalb Monaten 17 Meiler zu überprüfen, sei „ein anspruchsvolles Vorhaben“.