Die Oper in der Diskussion

Der Mann mit einem riesigen erigierten Penis liegt auf dem Boden, ein Glaskasten über seinem Kopf. Darauf sitzt eine Frau, die den Phallus mit beiden Händen reibt, während sie singt. Dabei spritzt immer wieder scheinbares Ejakulat im hohen Bogen über die Bühne.

Was anmutet wie eine bizarre Phantasie, ist eine zeitgenössische Oper des katalanischen Komponisten Carles Santos. Den und andere hat Gordana Vnuk, künstlerische Leiterin des Hamburger Theaters Kampnagel für ein Programm zeitgenössischer Oper und Neuer Musik in die Hansestadt geholt. „Bayreuth war gestern“ heißt es provokativ, drei Kampnagel-Koproduktionen und zwei Gastspiele kommen darin vom 7. bis 24. März auf Kampnagel zur (Ur-)Aufführung. „Opern-Regie steckt fest in einem konventionellen Rahmen. Die Oper war früher Kommunikation mit den Göttern“, sagt Vnuk. „Die Schauspieler sind heute plötzlich Menschen mit menschlichen Problemen. Was für einen Sinn hat Oper heute, wenn der mythologische Rahmen von einst nicht mehr existiert?“

Diesen Fragen haben sich Regisseure wie zum Beispiel Luigi de Angelis, Begründer der italienischen Performancegruppe Fanny & Alexander, angenommen. Die Oper „Dorothy. Disconcert for Oz“ erzählt die Geschichte des Zauberers von Oz. Dabei wird die Handlung durch Musik von unter anderen Bartók, Scriabin und Puccini kontrastiert. „Es ist es wie bei einem Gemälde von Brueghel. Man versteht nichts, weil es so viele Details gibt. Man versteht nur, wenn man fokussiert“, sagt de Angelis über sein Werk.

Zeitgenössische Oper, Neue Musik – in den Ohren von Traditionalisten klingt das mitunter wie die Posaunen von Jericho. Wo Altes in neue Gewänder gekleidet wird, flimmern ja schon bei einigen die Herzkammern. Etwas Neues, dazu noch ganz und gar Avantgardistisches aber ist da wie ein Dolch ins Herz der Oper. Es offenbart sich hier der alte und unliebsame Streit zwischen Bewahren und Erneuern. Passend wie die Faust aufs Auge schrieb der Spiegel vergangene Woche Lobeshymnen auf die klassische Oper, deren Retro-Haltung Provokation und damit die eigentliche Avantgarde sei.

Für „Bayreuth war gestern“ ist dieser Diskurs zentral. Denn Kampnagel stellt sich mit den fünf Produktionen auf die Seite zeitgenössischer Oper, die weniger die Handlung als vielmehr die Musik und deren Performanz im Blick und damit die Traditionalisten gegen sich hat. Das Programm ist aber nicht als Kampfansage gedacht. Vnuk: „Wir behaupten nichts, wir eröffnen eine Diskussion.“ MARTIN SPIESS

„Bayreuth war gestern“: 7. bis 24. März auf Kampnagel, Hamburg. Eröffnung am 7. 3. mit Fanny und Alexanders Stück „Dorothy. Disconcert for Oz“. Weitere Informationen unter www.kampnagel.de