40 Grad am wochenende
: Kranke Späße in Neukölln

Am Freitagabend bekommt unser Jüngster Fieber. 40 Grad. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang: Kinder werden immer am Wochenende krank. Wir verabreichen Zäpfchen. Das hilft, aber nur für ein paar Stunden. Nach einer zerquälten Nacht fällt am Samstag der Entschluss: Da sollte mal ein Arzt draufschauen.

Wer außerhalb der gängigen Sprechzeiten erkrankt, weiß den Hausbesuchsdienst der Berliner Kassenärzte zu schätzen – bloß für Kinder gibt es den nicht. Für die stehen zwei Erste-Hilfe-Stellen zur Verfügung. Nicht pro Bezirk: in ganz Berlin. Aber da sind ja noch die Krankenhäuser mit pädiatrischer Ambulanz. Wir fahren nach Neukölln.

Das Gebäude ist nagelneu. Geburts- und Kindermedizin sind erst vor zwei Jahren hier eingezogen. Alles vom Feinsten, hell und einladend. Nur für das Personal hat’s nicht gereicht. Jedenfalls heute nicht. Ein Dutzend hustender, röchelnder Minderjähriger harrt im Wartezimmer der Untersuchung. „Eine Stunde wird es dauern“, sagt eine Krankenschwester. „Wir hatten damit gerechnet, dass noch eine zweite Ärztin kommt.“ Eine Ärztin also. Für zigtausend Neuköllner Kinder. Zu dieser Jahreszeit. Wir leben in einem Entwicklungsland.

Es folgen Ablenkungsmanöver. Wir trinken einen Kaffee. Wir laufen im Gang auf und ab. Wir sehen öfters auf die Uhr. Das Kind schwitzt. „Da sind noch einige vor Ihnen“, sagt die Schwester nach anderthalb Stunden. „Zwischendurch ist mehrmals der Krankenwagen gekommen, der hat Vorrang.“

Wir sind nicht die Einzigen, die murren. Die Schwester schaltet auf stur. Ein Scheißjob, den sie da machen muss. Noch mieser ist die Arbeit des Mannes mit der roten Nase, der plötzlich im Wartezimmer auftaucht. Offenbar einer von diesen Krankenhausclowns, über die man ja allerhand hört. Eigentlich eine prima Sache, kranke Kinder aufzuheitern. Aber heute steht der Mann mit der roten Nase, der Fliege und der zu kurzen Hose auf verlorenem Posten. Er ist ja nur ein schlecht bezahlter Lückenbüßer für das nicht vorhandene medizinische Personal. Offenbar merken das auch die Kinder, die sich herzlich wenig für sein Belustigungsprogramm interessieren. Die Jongliernummer, das Pelztierchen, das er in der Hand zappeln lässt, die Seifenblasen – die Gören zappeln und quengeln und passen nicht auf.

Einmal versucht der Clown, Eltern einzubeziehen. „Du bist müde, stimmt’s?“, sagt er zu einem übernächtigt wirkenden Vater. „Ich weiß das, ich kann deine Gedanken lesen.“ Das soll witzig sein. Der Angesprochene sieht aus, als wolle er dem Spaßmacher am liebsten die Fresse polieren. Aber was kann der dafür, dass unser Gesundheitswesen auf dem letzten Loch pfeift?

„Auf eine Stunde müssen Sie sich noch einstellen“, sagt die Schwester, als wir später wieder in den Gang treten, um frische Luft zu atmen. „Und gehen Sie bitte in den Warteraum, Sie blockieren hier den Weg.“ Wir gehen. Nach Hause. Unterwegs besorgen wir noch eine Packung Zäpfchen. CLAUDIUS PRÖSSER