Harmlos unsympathisch

Spricht er nur aus, was viele denken? In der Debatte über seine Begnadigung wird Christian Klar mittlerweile zum antikapitalistischen Helden stilisiert. Dabei wird vergessen, warum er in Haft ist

VON JAN FEDDERSEN

Da kann es einem ganz schön mulmig werden. Nicht allein in Zirkeln rund um die Zeitung Junge Welt, in Milieus, die sich der im Januar abgehaltenen Rosa-Luxemburg-Konferenz verbunden fühlten, sondern bis weit in die kulturreligiösen Kreise der Kunst hat sich offenbar der Glaube durchgesetzt, Christian Klar sei insgeheim ein Held, ein Sprecher für Milliarden, der mit seiner Einlassungen für sieben Achtel der Weltbevölkerung spreche – so neulich auch der Berliner Theaterintendant Claus Peymann in dieser Zeitung.

Schuld: der Kapitalismus

Durchaus dem Zeitgeist – philosophisch aktuell befeuert mit Arbeiten von Autoren wie Giorgio Agamben, Slavoj Žižek – huldigend, malt die linksradikale Boheme ein Bild von einer Welt, in dem Stichworte wie Klimakatastrophe, Korruption, Missbrauch, Ausbeutung, Krieg sich auf Protest wie Aufstand reimen, neuerlich wohl auf eine Chiffre namens Christian Klar. Der Kapitalismus ist mal wieder an allem schuld! Und das ist ja keineswegs nur ein Revival jener unerschütterlichen Gewissheit, die in den Siebzigerjahren die jungen Kulturszenen und Protestbewegungen intellektuell auffönte, sondern offenkundig up to date, wie es eben nur geht.

Okay wäre, rechtsstaatlich ohnehin, einen verurteilten Mörder wie Christian Klar zu begnadigen, wenn dies der Bundespräsident wollte. Nur Horst Köhler könnte diesen Akt besiegeln, nur er hat das Recht, das Gesuch zu bejahen, eines, das sein Amtsvorgänger Johannes Rau faktisch abgelehnt hat und nicht nur, wie der einstige Humboldt-Universitäts-Rektor und Stasizuträger Heinrich Fink auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz mitteilte, weil er über diese Bitte gestorben sei. In Ordnung würde, darüber hinaus, ebenfalls sein, die Meinungen eines Christian Klar zu schützen – so krude sie auch klingen, so abstrus sie sich gegen all das ausnehmen, was die RAF und die Ihren an Terror entfalten würden, wäre ihr Machteroberungs- und Zerstörungsprogramm der Siebziger- bis Neunzigerjahre Realität geworden. Jede Meinung ist erlaubt – und der radikalen Linken möchte man dann sagen: Das gilt dann bitte in Zukunft auch für solche rechter Provenienz. Eine Kapitalismuskritik, die auf revolutionäres Agieren setzt, muss immer mit Gewalt auftreten. Mao Tse-tung, um einen der wichtigsten Inspiratoren der autonomen wie China-inspirierten Opposition der Siebziger zu nennen, wusste: Revolutionärer Kampf ist nie mit einem Deckchensticken zu verwechseln. Auch dies ist in dem ganzen Trubel um Christian Klar ein wenig aus dem Blick geraten. Wer nun all das nicht gemeint haben will, wer wirklich nur einmal kulturellen Unmut über dieses & jenes herausrülpsen wollte, möge die Klappe halten. Dass Linke der dogmatischen, man möchte fast sagen: konsequenten Sorte sich nun über so viel Zuspruch freuen, also zuvor zuletzt in den Siebzigern erfahrene Solidarität mit dem Anliegen als solchem, versteht sich von allein.

Da darf, so wird in autonomen Zirkeln respektvoll diskutiert, sogar eine vor der bundesdeutschen Strafverfolgung in die DDR geflohene Inge Viett in der Jungen Welt schreiben: „Die heutigen Fragen: Wieso habt ihr zu den Waffen gegriffen? Was und wer hat euch legitimiert?, etc., möchte ich immer häufiger mit der Gegenfrage beantworten: Wieso haben nur wir – ein paar Hände voll – zu den Waffen gegriffen? Wieso sind Zigtausende, die auf dem Weg waren, zurückgefallen?“ Die Frage von libertären Linken müsste lauten: Weshalb erntet eine solche Politikerin, die offenkundig eine politische Herrschaft will, die sich nicht auf Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Demokratie gründet, nicht den gleichen Protest wie, sagen wir, eine Person, die in der nationalsozialistischen Suppe doch noch ein gutes Haar findet?

Die Kälte der Freiheit

Der Kapitalismus, die Gefühle all der Salonlinken mal ernst genommen, mag ja ein mächtiges Mahlwerk sein, das alles zerschrotet, was sich nicht irgendwie rechnet. Das zerstört, was an feudalen Systemen einmal galt. So oder so: Momentan reicht es für diese Kader doch sehr für ein Ein- wie Auskommen, das niemand ihnen streitig machen will – nicht einmal die Union.

Christian Klar möge man in die Resozialisierung schicken. Draußen, nicht im Gefängnis, wo er als Mörder natürlich zu sitzen hatte. Man gönne ihm die Auseinandersetzung mit der Kälte der Freiheit. Das kann nur hilfreich sein. Ein Idol kann er nicht werden. Einer, der die Verhältnisse liebt, natürlich auch nicht. Vielleicht sollte er dies nur aus einem Grunde tun: Die Todesstrafe ist, aus zivilisationsförderlichen Erwägungen, abgeschafft worden. Das ist der Unterschied zu den Gefangenen, die die RAF machte.